11.7.2008

Anton Bruckner - Sinfonie Nr.5 B-Dur

Berliner Philharmoniker
Günter Wand
RCA

Gelegentlich bin ich von anderen Dingen derart absorbiert, daß ich beim Hören von Musik abgelenkt bin, ständig gedanklich abschweife, schließlich sogar auf meine abendlichen Konzerte verzichte. Dann hilft immer eines: eine Breitseite Bruckner.

Mir ist völlig klar, daß Anton Bruckners Sinfonien keineswegs den Höhepunkt der abendländischen Musikgeschichte darstellen. Dennoch erzeugen sie bei mir einen Sog, dem ich mich nicht entziehen kann - und dies auch gar nicht will. Die - sehr speziellen, brucknertypischen - Modulationen erzeugen bei mir regelmäßig eine Gänsehaut, und wenn es laut wird, kullern auch mal ein paar Tränchen.

Um solche Emotionen zuzulassen, muß ich allerdings klar unterscheiden: zum einen gibt es jenen Bruckner, der ewig an den eigenen Sachen herum gedoktert hat, nachdem ihm der angedachte Dirigent für die Uraufführung bedeutete, daß es so ja überhaupt nicht ginge; der von Gustav Mahler für das Publikum des Fine de Siêcle zurecht gerückt wurde mit Uminstrumentierungen im Sinne des wagnerischen Mischklangs; der von Furtwängler in den Dreißigern schließlich als Zeuge der Ideologie der Nazis inszeniert wurde und für lange Zeit in Verruf geriet. Zum anderen aber - und Günter Wand kann man es gar nicht hoch genug anrechnen, dieses zu Tage gefördert zu haben - findet man in der Originalfassung der Partituren wahre Wunder an Klarheit und Prägnanz, und zwar auch und gerade dort, wo es "dünn" klingt, oder große Einfachheit zunächst "einfältig" erscheint.

Für mich kristallisiert sich Bruckners Fünfte immer klarer als sein stärkstes Werk heraus. Beim ersten Hören war ich sofort vom Finale hingerissen - wer an Bach geschult ist, hat keine Probleme, den Aufbau der Doppelfuge auf Anhieb nachzuvollziehen. Die erste Bewunderung hat sich nur noch weiter verstärkt, als ich kapierte, was Bruckner da harmonisch zaubert - und was er über mehrere lange Expositionen an Zauberei auch in der Waage zu halten vermag.

Auch die anderen Sätze sind deutlich entfernt von dem Schematischen, das seinen anderen Sinfonien gelegentlich anhaftet. Der erste Satz startet mit einer langen Introduktion, die derart eigenständig daher kommt, daß sie im ersten Satz variiert wird, und im Finale nochmals auftaucht. Das Scherzo ist eine fast übermütige Mischung aus wagnerischer Blechbläser-Angegeberei und Wiener Walzerseeligkeit. Im Adagio kontrastiert eine monophone, von zwei in verquer-verkopfter Rhythmik getrennten Stimmen vorgetragene Linie mit einem Thema, dessen spätromantische Sehnsucht an jene Schuberts erinnert.

Aber all das geschieht vor dem Höhepunkt - und ich müßte jetzt auf technische Kategorien zurückgreifen, um noch etwas zu sagen, statt mich einfach bloß - als Fan - in Lobeshymnen zu ergehen (ich sollte mal versuchen, eine Analyse der Doppelfuge des letzten Satzes so zu schreiben, daß sie technisch korrekt ist, und trotzdem auch für einen Nicht-Akademiker verstehbar bleibt).

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