24.5.2008

Marschmusik (1)

(Themenanfang)

[Ich habe mich gestern mit knapper Not darum herumgeschummelt, mit dem Thema zu beginnen, bei dem es schmerzhaft für mich werden dürfte – schmerzhaft nicht nur, weil es mich berührt, sondern in erster Linie, weil ich fürchte, nicht die sprachlichen Mittel zur Verfügung zu haben, ihm angemessen zu begegnen. Aber ich kann es mir nicht ersparen, zumindest einen Anlauf zu versuchen – also dann:]

Am Dienstag, dem 8. Mai 1906 wurde an der Wiener Hofoper Wagners „Tristan” aufgeführt, Erik Schmedes ist Tristan, Anna von Mildenburg Isolde. Am Dirigentenpult: Gustav Mahler[1]. Konzertmeister: Arnold Rosé[2]. Irgendwo unter dem Stehplatzpublikum: der siebzehnjährige Adolf Hitler[3].

Arnold Rosé hatte eine Tochter mit Mahlers Schwester Jusitine, die im November dieses denkwürdigen Jahres geboren wurde und den Namen der Ehefrau Mahlers bekam, Alma. Das Leben jener Alma endete 1944: als berühmte jüdische Musikerin wurde sie von der Lageraufsicht zur Leitung der Frauenkapelle Auschwitz–Birkenau gezwungen; sie starb an den elenden hygienischen Bedingungen des KZ an Tuberkulose[4].

Von Hitler ist bekannt, daß ihm die Frauen um Winifred Wagner in den frühen zwanziger Jahren einen gesellschaftlichen Auftritt verpaßten, der aus dem ungehobelten Bewohner von Wiener Männerheimen einen auch für Reichspräsident Hindenburg akzeptablen Politiker machte[5]. Hitler bedankte sich später, und ersparte seinen Ersatzsöhnen Wieland und Wolfgang Wagner den Dienst an der Front: beide waren zu Höherem berufen, zum Dienst an der deutschen Kunst[6].

Richard Wagners Enkeln gelang es aber auch nach Ablauf der Zeit unter der Schirmherrschaft von „Onkel Wolf” ihre Stellung zu halten und auszubauen. Von Wolfgang ist allgemein bekannt, daß er bis heute Leiter der Bayreuther Festspiele ist. Ohne seinen älteren Bruder Wieland jedoch hätte sich Bayreuth schwerlich vom Erbe der Verquickung mit den Nazis erholt (zumal die Mutter – Winifred – bis zu ihrem Tod dem „Führer” treu ergeben blieb): seine Inszenierungen des „Ring”–Zyklus in den fünfziger Jahren bilden das Fundament einer Wagner–Renaissance, die bis heute fortgeschrieben wird.

Mit dabei war eine junge Sängerin, die wohl zeitweilig auch Wielands Geliebte war: Anja Silja. Ihr Name taucht in der Besetzungsliste der gestern von mir angesprochenen „Salome” auf, deren Uraufführung – und hier schließt sich der Kreis – 1905 stattfand (also gerade ein Jahr vor der denkenswerten Tristan-Aufführung, allerdings nicht in Wien, sondern in Dresden – Mahler hatte mit allen Mitteln gekämpft, die „Salome” an seiner Oper uraufführen zu können, scheiterte aber an der Habsburger Zensur).

Ich habe diese Absätze mit keiner Wertung versehen, und ich will das auch so verstanden wissen: als Auflistung von Tatsachen, sonst nichts. Ob Wieland seine Rolle in der NS-Zeit später hinterfragt und bedauert hat, habe ich nícht nachgeforscht, und die Frage ist im Zusammenhang auch völlig unerheblich – ebenso wie die Frage nach den Folgen für den Mensch und die Sängerin Anja Silja aus der Begegnung mit einem Liebling Hitlers.

Es bleibt aber festzuhalten, daß es eine Stafette gibt, die ohne Bruch von Richard Wagner selbst, über die Naziherrschaft, bis zur heutigen musikalischen Praxis führt. Das betrifft keinesfalls isoliert nur die Musik Wagners, sondern die gesamte Tradition, der sie entstammt, und die sie selber begründet. – Dazu wird noch einiges zu sagen sein.

  1. [1] Brigitte Hamann: Hitlers Wien. München 98, S.43.
  2. [2] Zu der Zeit war Rosé Konzertmeister an der Hofoper, und ich vermute nur, daß er auch bei jener Aufführung am ersten Pult saß.
  3. [3] Brigitte Hamann, a.a.O.
  4. [4] Richard Newman: Alma Rosé, eine Biographie. Bonn 2003
  5. [5] Wolfram Pyta: Hindenburg. München 2007 (genauer Textverweis folgt)
  6. [6] Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth. München 2003
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