11.4.2008

Klang, Sound (2)

(Themenanfang)

Klang ist der rohe, ungeformte Bereich von Musik. Sein Begriff beschreibt jene Ebene, die vor der Komposition steht, und zu der eine Komposition letztlich wieder wird. In gewisser Weise ist er der Urgrund oder die Natur alles Hörbaren, welche durch menschliche Arbeit geformt und zu Musik gemacht wird.

Wenn man vom „Klang einer Geige” spricht, meint man damit keine bestimmte, sondern jede Musik, sofern diese von eben diesem konkreten Instrument gespielt wird. Auch hier bezeichnet die Kategorie etwas un- oder, genauer, übermusikalisches. Sie steht vor der Entstehung von Musik, gleichzeitig ist sie deren Resultat.

Klang ist übrigens viel eher der Naturgrund von Musik, als der dort häufig angesiedelte Rhythmus. Wer die vermeintliche Archaik des Rhythmischen betont, sieht den ekstatisch tanzenden Menschen, und bringt dessen Ekstase mit der Musik in Verbindung. Beim Tanzen passiert jedoch dasselbe wie beim Laufen, beim (Ausdauer-)Sport: der Körper genießt die Glücksgefühle des Runner's High. Die Ursache ist der menschliche Körper, die Musik allenfalls äußerlicher Umstand.

Beim Hören ist zunächst der Verstand damit beschäftigt, aus dem Urzustand der klanglichen Ebene die Strukturen herauszuarbeiten, die musikalischen Sinn konstituieren. Das bedeutet nicht, daß der Hörende mit beständig wachen Sinnen stets am Analysieren wäre. Wo sich ein Fahranfänger mittels einer Analyse der Bewegungsabläufe das Schalten verdeutlichen muß (nur um den Motor trotzdem immer wieder abzuwürgen), da muß ein ungeübter Hörer den rohen Klang analysieren, um in ihm musikalischen Sinn zu finden. Wie aber ein erfahrener Autofahrer mit unbewußter Selbstverständlichkeit die Kupplung tritt und die Gänge wechselt, so ordnet der geübte Hörer Themen und harmonische Verläufe in die musikalische Struktur, ohne denken zu müssen.

Wenn man eine historische Plattenaufnahme hört – etwa noch in Schellackzeiten entstanden, monophon, entsprechend verknackst und verrauscht –, macht man etwas, was das Ohr ohnehin immer tut: man hört sich Dinge zurecht. Das Ohr hat nämlich die bemerkenswerte Fähigkeit, Dinge zu hören, die gar nicht da sind (über das ebenso erwähnenswerte Überhören von Dingen hatte ich schon gesprochen). Auf der historischen Aufnahme wird man nicht ernsthaft den Klang eines Orchesters finden – dennoch ist man in der Lage, genau solch ein Orchester zu hören, und zwar sogar mit Genuß. Der Hörer holt die benötigten Informationen in diesem Fall eben nicht aus dem Klangerlebnis, sondern aus der Erinnerung. Um Musik genießen zu können, braucht es eben nicht der klanglichen Ebene; dazu reicht vielmehr, die Formen und Strukturen erkennen zu können.

In letzter Instanz sind das, was klingend Musik heißt, und die Realität des Klanges in der physikalischen Welt, einander völlig fremd.

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