10.4.2008

Klang, Sound (1)

(Kompletter Text)

Es fällt auf, wie sehr es dem Popbereich um Klang - „Sound” - zu tun ist - und wie ihn die Welt der Klassik gelegentlich als unerheblich verachtet. Sicherlich hat der Cellist und der Geiger eine Vorstellung davon, wie sein Instrument „klingen” soll, gerade in die Bogentechnik wird viel Mühe investiert. Auch die Rede vom „kultivierten Anschlag” beim Klavierspieler hebt die Rolle des Klanges hervor. Dennoch bekommt Klang nur selten eine strukturelle, d.i. inhaltliche Bedeutung verliehen. Wenn Musiktheoretiker über „Klassik” sprechen, ist viel von Formverläufen, Agogik, Techniken der Polyphonie und des Satzes etc. die Rede. Der klangliche Aspekt spielt erst dann eine Rolle, wenn es um die konkreten Musiker geht („schöne Stimme” etc.).

Umgekehrt ist im Pop Sound alles. Ich kenne keine Analyse, die sich mit strukturellen Dingen in dieser Musik beschäftigt, dagegen eine Vielzahl popkultureller Versuche, sich über den Sound dem Wesen einer bestimmten Band, einer bestimmten Stilrichtung, gar einer ganzen Epoche zu nähern.

In meiner Zeit im Jazz habe ich mich ständig mit „Sound” beschäftigt; es ging darum, die besten Saiten für den besten Bass zu finden, ich habe mit Verstärkeranlagen und Effektgeräten, später auch mit Synthesizern und Samplern experimentiert.

Ich erinnere mich an einen (sehr langen) Abend, an dem ich mit einem Freund an den Synthesizern neue Sounds programmierte. Mit einem bestimmten Klang im Sinn drehten wir an den Knöpfen, und hörten immer wieder dieselben Töne vom Sequencer. Nach Stunden, in denen wir uns gegenseitig wieder und wieder bestätigten, das wir der Vorstellung immer näher kämen, merkten wir plötzlich, daß wir an den Knöpfen eines anderen Synthies drehten, einem, der gar nicht über die Anlage zu hören war (wir waren einen Moment total verblüfft - und fanden das kurz darauf brüllend komisch).

Eine ähnlich gelagerte Geschichte habe ich mit einem - guten, ausgebildeten - Sänger erlebt, der darauf beharrte, daß ich ihn ausschließlich mit dem Klavier begleite. Irgendwann hat er ein Beispiel vorgespielt, wie er sich das „Piano-only” vorstellt: eine komplette Band, akustische und elektrische Gitarren, Schlagzeug, Holzbläser, das komplette Programm, freilich getragen von einem im Vordergrund stehen Klavier. Der Mann war völlig überrascht, als ich ihm die Klangstruktur des Stückes nach und nach zeigte: er hatte all das tatsächlich nicht gehört. Ein guter, ausgebildeter Musiker.

Einverstanden: das erste Beispiel ist etwas besser, weil es über die Wahrnehmung nur von Klang berichtet. Der Punkt, daß man lediglich jene Aspekte von Musik hört, von denen man weiß, bezieht sich auf alle Ebenen, auch auf die strukturelle. Ich denke aber, daß die klangliche Ebene die subjektivste von allen ist, weil auch bei gut ausgebildeten Musikern das Ohr zuweilen Dinge tut - Sachen zurecht-rückt und -hört -, die komplett am Bewußtsein vorbei laufen.

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