Winterreise (3)
Franz Schubert
Fremd bin ich eingezogen
fremd zieh' ich wieder aus.
Dies sind die ersten beiden Zeilen der Winterreise, Franz Schuberts Zyklus von vierundzwanzig Liedern nach Gedichten von Wilhelm Müller. Sie benennen bereits das ganze Programm, dem Dichtung wie Musik folgen. Es geht um das Gefühl des Verlustes jeder Heimat, genauer: um die Sehnsucht nach einer Heimat, die man niemals hatte. Allen Träumen folgt brutalstes Erwachen, jede Hoffnung wird im Ansatz zerstört. Selbst die urromantische Vorstellung, die Realität an der Kunst zu heilen, wird im Ansatz verworfen. Die Winterreise ist eine Reise in den Tod, dem keine Auferstehung folgen wird.
"Am Brunnen vor dem Tore", das fünfte Lied im Zyklus, ist zum Volkslied geworden, weil man es gnadenlos glattgebügelt und mißverstanden hat - und ist insofern symptomatisch für das gesamte Bild, das sich über Schubert hartnäckig in den Köpfen hält. - Der Reisende erinnert sich an einen "Lindenbaum", unter dem er einst manch "süßen Traum" erlebte. In zwei von fünf Strophen wird aber die momentane Situation unmißverständlich klar gemacht:
Die kalten Winde bliesen
mir grad' ins Angesicht
In Schuberts Original spiegelt das die Musik, und zwar auch in den träumenden Strophen: von der Seeligkeit des Eingangs (den die Volksliedversion schlicht wiederholt) bleibt nur die Melodie übrig. Das begleitende Klavier irrt in zerklüfteten, fast pointilistischen Phrasen umher, und findet nicht mehr zurück zu den volltönend-schlichten Kadenzdreiklängen des Anfangs.
Die letzten beiden Lieder sind von einer Trostlosigkeit, die sich selbst in der Moderne kaum wiederfindet. Die "Nebensonnen" (an vorletzter Stelle) scheinen zunächst unverständlich:
Drei Sonnen sah ich am Himmel steh'n,
hab' lang und fest sie angeseh'n;
und sie auch standen da so stier,
als wollten sie nicht weg von mir.
Ach, meine Sonnen seid ihr nicht!
Schaut andern doch ins Angesicht!
Ja, neulich hatt' ich auch wohl drei:
nun sind hinab die besten zwei.
Ging nur die dritt' erst hinterdrein!
Im Dunkeln wird mir wohler sein.
Dabei liegt eine Deutung nahe, wenn man den Kontext der anderen Lieder einbezieht: die drei Sonnen sind Kindheit, Jugend, Alter; die Hoffnung, die bleibt, liegt im Dunklen, im Tod.
Das letzte Lied des Zyklus, der Leiermann, bekommt noch einen eigenen Eintrag (es gibt eine berühmte Deutung von Hans Heinrich Eggebrecht - in seiner glänzenden Musikgeschichte "Musik im Abendland" - , die sehr präzise auf dem Punkt ist).