6.8.2012

Alphons Diepenbrock – Hymne für Violine und Orchester (1898)

Alphons Diepenbrock
Alphons Diepenbrock

Alphons Diepenbrock (1862-1921) gehört zu den „kleinen Meistern“ seiner Epoche. Ich verwende hier einen Begriff, der eigentlich auf das Barock gemünzt ist und dort so etwas wie „mangelnde Qualität“ in der Beherrschung des kompositorischen Handwerks anzeigt.

Dort, wie auch im Fin de siècle, gibt es eine schier unglaubliche Masse an Werken, die zu ihrer Zeit hoch angesehen und ständig aufgeführt wurden, die aber für die heutige musikalische Praxis als „unbedeutend“ gelten und weitgehend vergessen sind.

Die Musik von Vivaldi oder Telemann (das wären dann „kleine Meister” im Barock, im Unterschied zu Bach und Händel) etwa besteht über weite Strecken aus schematischen Mustern, die ständig wiederholt werden – bis hin zum „Recycling“ von ganzen Passagen aus eigenen Werken in einem neuen Zusammenhang.

Nicht so hier: Diepenbrock hat eine klar von seinen Vorbildern unterscheidbare Sprache. Harmonik und Ornamentorik gehen noch auf Wagner zurück, wobei er hier durchaus eigene Wege findet. Dabei ist die motivische Arbeit weit entfernt von Wagners Technik des Leitmotivs: Diepenbrock greift (gleichzeitig mit, aber unabhängig von Schönberg) auf die Variationstechnik von Johannes Brahms zurück (beides kann man in der Partitur oben sehr schön nachvollziehen).

Die „Hymne“ wirkt beim ersten Hören wie Salonmusik – eine hübsche Melodie über gefälligen Akkorden. Das Kernmotiv dieser Melodie ist dann aber – in bester Brahms'scher Tradition – die Keimzelle für fast jede Note im ganzen Werk, bis hinein in die Nebenstimmen (überhaupt ist die polyphone Ausgestaltung der Nebenstimmen derart kunstvoll, daß mir – bei der auf den ersten Blick kaum auffallenden, aber gegebenen harmonischen Komplexität – nur die (vor-dodekaphonischen) Kompositionen Schönbergs als gleichwertiges Beispiel einfallen).

Es ist kein Wunder, wenn Gustav Mahler Diepenbrocks Freundschaft sucht (obwohl dessen Werk aus der Feder eines Amateurs stammt, der seinen Lebensunterhalt als unterrichtender Philologe bestritt) – und es ist ein großer Verlust, daß diese Musik nur noch in einigen wenigen Nischen weiterlebt.

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