22.5.2012

Netzwerkprodukte (33)

(Themenanfang)

Wenn man es mit einem über Jahrzehnte gewachsenen, durch zahlreiche Hände gegangenen Sourcecode zu tun hat, gibt es wohl nur zwei Möglichkeiten, an ihm etwas zu verändern:

  • Man geht den „richtigen Weg”: die Probleme werden analysiert; die Aufwände abgeschätzt; und das Management bewilligt die benötigten Ressourcen in der Entwicklungsabteilung (eine fromme Utopie).

  • Der zuständige Entwickler „hackt“ eine Lösung – hoffentlich dann im Bewußtsein, daß dies Konsequenzen hat, weil man sich hier „technische Schulden“ aufhalst (in Form von mittel- oder langfristig unwartbarem Code, den niemand anderer – nicht einmal er selbst – in der Zukunft noch verstehen wird).

  • Dazwischen gibt es, soweit ich das sehe, keine Lösung. Kompromisse sind immer der Weg der Hacker.

    Dabei ist der „richtige Weg“ nur in den allerwenigsten Situationen gangbar. In der Forschung an den Universitäten ist dies vielleicht eine Option – selbst dort wohl nur ausnahmsweise. Spätestens bei proprietärer Software, in der sog. „freien Wirtschaft“, funktioniert das zu keiner Sekunde. Die Entwickler dort sind – zumindest in meiner eigenen Erfahrung – letztlich permanent am Hacken, so wenig sie das mit ihrem eigenen Ethos auch vereinbaren können. Der „Markt“ verlangt, daß sie mit ihren Features zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig werden.

    Glücklicherweise bin ich mit Musiksoftware beschäftigt. Dennoch: wenn ich nur eine Zeile Code falsch schreibe, hat dies durchaus Konsequenzen für alle User von Cubase (im Zweifelsfall bringt das das Programm zum Absturz, und beerdigt zahlreiche Stunden Arbeit Anderer mit ihm). Zumindest hat mein Fehler dann nicht zur Folge, daß man Leichen zählt.

    Woanders sieht das ganz anders aus.

    Die Mechanismen, in die meine Arbeit eingebettet ist, dürften sich wiederfinden bei jenen, die mit der Entwicklung der Software für Autopiloten in Flugzeugen oder die Steuerung von Abschußanlagen für nukleare Raketen (oder – prominent gerade – der Entwicklung von Algotrading) beschäftigt sind.

    Das ist jetzt keine Verschwörungstheorie, sondern eine Beschreibung dessen, womit ich in meinem Alltag zu tun habe.

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