25.3.2011

Name, Geschlecht, Identität

(Themanfang; man kann die Notiz unten aber auch als Kommentar zu Buffy, Season Eight, „The Chain” lesen.)

Wie entsteht die Vorstellung vom Individuum? In meinen Augen handelt es sich hier um ein Konstrukt, das keinesfalls zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft existierte. Descartes‘ „Cogito, ergo sum“ ist kein universell gültiger Satz – letztlich läuft er ja darauf hinaus, daß neben dem Individuum alles andere verblaßt und unwirklich wird: die objektive Welt wird zu einer Fiktion, die nur in den Köpfen der Menschen, und in letzter Konsequenz sogar nur im eigenen Kopf existiert.

Dabei ist die Erfahrung der Identität nur dann möglich, wenn jemand anders eine Differenz benennt. Wenn man mir zuruft: „He, Du da“, ich mich von diesem Anruf angesprochen fühle, mich umdrehe und sehe, daß tatsächlich ich gemeint bin: erst in diesem Moment kann ich erfahren, daß da ein Unterschied besteht zwischen mir selbst und der Welt. Dieses „He, Du“ ist die erste Form meines Namens; und die erste Form, in der mir diese grundlegende Differenz gegenübertritt, ist ein gesprochenes Wort, ein Sprechakt.

(Ein Baum ist ein Baum, geschieden vom Rest der Welt als „Nicht-Baum“ – mehr läßt sich nicht sagen, aber man kann gar nicht anders, als dies wieder und wieder zu sagen. Zur „objektiven Welt“ habe ich nur Zugang, indem ich sie benenne und mit anderen meine Begriffe teile. Ich kann etwas einen Namen geben, etwas auf einen Begriff bringen – damit beschreibe ich eine Grenze, eine Differenz, nicht jedoch dieses „etwas“ selber.)

Ich bin ein weißer Deutscher, von mittlerer Größe mit blauen Augen. Diese Kategorien beschreiben Differenzen, die sowohl in ihrer Bedeutung wie auch ihrer scheinbaren Objektivität historisch entstanden (und damit auch vergänglich) sind – sie sind allesamt Konstrukte.

Noch bevor man mir einen Namen gab, wurde ich einem Geschlecht zugeordnet. Mein „Menschsein“ war hier sowieso als selbstverständlich vorausgesetzt – dabei ist die Differenz zwischen Menschen und Tieren genauso ein Konstrukt wie die Unterscheidung zwischen „Schwarzen“ und „Weißen“. Die Zuschreibung zu einem biologischen Geschlecht ist in der Debatte um Identität jedoch das zentrale Konstrukt, wenn man einerseits sicher zu wissen glaubt, daß man ein Mensch ist, aber dennoch keine Ahnung davon hat, welche Rolle man in der Welt spielen soll. In der Wirklichkeit ist das zunächst ganz einfach: es wird darüber bestimmt, wer Junge und wer Mädchen ist, und danach hagelt es Namen.

Das „biologische Geschlecht“ hat mit Natur nichts zu tun – allein der Begriff ist ein Akt von Sprache, und die Wirklichkeit dahinter nichts anderes als ein – freilich überaus wirkungsmächtiges – Konstrukt, das mit einem Hagel einhergeht, der mit Natur nichts, mit Herrschaft jedoch alles zu tun hat.

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