Technologische Neuerungen (4) - Drumcomputer

(Themenanfang)

Mein Lieblingsbeispiel für die merkwürdigen Wege, die eine neue Technologie bei ihrer Adaption durch die Gesellschaft zurücklegt, ist die Entwicklung des Drumcomputers, des „Schlagzeugs aus der Dose“. Solche Maschinen gab es in analoger Form schon in den frühen Siebzigern; richtig durchgesetzt haben sie sich aber erst in ihrer digitalen Inkarnation. 1983 wurde die Schnittstelle für die Kommunikation zwischen digitalen Musikinstrumenten eingeführt, MIDI. Das Protokoll war von zahlreichen Herstellern von Musikinstrumenten entwickelt und verabschiedet worden, und zwar ohne den sonst üblichen Vorlauf aus Streitereien über konkurrierende Standards, und ausnahmsweise ohne den Versuch, aus solchen Nicklichkeiten Marktvorteile zu generieren. In kurzer Zeit war der Markt mit MIDI-tauglichen Geräten überschwemmt – unter ihnen nicht nur Synthesizer, sondern auch Drumcomputer und Software(!).

Die damals vorherrschende Welle in der Popmusik hieß Disco, und die dort vorherrschenden monotonen Beats eigneten sich hervorragend, um die Schlagzeuger aus den Studios zu werfen und durch Drumcomputer zu ersetzen. Zuerst ging es gar nicht darum, irgendwelche neuen Features der neuen Technik in die Hände zu bekommen und die Geräte kreativ zu nutzen – man wollte schlicht Kosten sparen. Ein professioneller Schlagzeuger ist nicht nur teuer, sondern macht Fehler, die hinterher mühsam via Overdub ausgebessert werden müssen. Hinzu kommt, daß das Recording eines Schlagzeugs im Studio ein technischer Albtraum ist – man muß mit drei oder besser sieben Mikrophonen hantieren, die erst nach mühsamem Soundcheck so positioniert sind, daß das komplette Drumset ausgewogen klingt. Dabei hat man noch mit dem Problem zu kämpfen, daß in jedem der Mikrophone nicht nur das eigentlich adressierte Instrument zu hören ist, sondern das komplette Set. Mit dem Drumcomputer wird der Traum des Toningenieurs wahr, endlich ohne jede Übersprechung die einzelnen Komponenten getrennt zu bearbeiten.

Da gab es also ein gewaltiges Potential für Rationalisierungen, und das hat man bis zu einem Punkt genutzt, wo Drummer, die etwas wie einen menschlichen Pulsschlag in ihren Adern hatten, keine Chance mehr in einer kommerziellen Session hatten. In der Musikerszene wurde damals definitiv davon ausgegangen, daß nicht nur der Beruf des Studiodrummers am Ende sei, sondern daß früher oder später niemand mehr das Instrument würde lernen wollen – man vermutete, daß das zentrale Instrument für den Pop-, Rock- und Jazzbereich am Aussterben sei und keine Zukunft mehr habe.

Das ist bekanntlich nicht so gekommen. Auch heute noch gibt es an den Musikschulen genug junge Menschen, die „Schlagzeug” lernen wollen, und auch heute noch gibt es einen Bedarf an professionellen Drummern – nicht nur im Jazz, sondern auch in bestimmten Bereichen der Popmusik, die sich bewußt von dem Produktionsprozeß in der Fabriken der Majors absetzen wollen (und die gerade heutzutage, wo die Majors eben gar nicht mehr so major sind, zunehmend Einfluß gewinnen).

Es ist jedoch etwas ganz anderes passiert, was Mitte der 80er nicht einmal ansatzweise vorausgesagt wurde, was aber einen überhaupt nicht zu überschätzenden Einfluß auf die heutige Popkultur hat: die Hörgewohnheiten im rhythmischen Bereich haben sich drastisch gewandelt. Wenn man sich heute Popmusik der 70er anhört, wird man feststellen, wie geradezu grotesk schlecht das Timing damals war, wie unglaublich es dort wackelt und im Tempo schwankt und kaum ein Schlag wirklich auf dem Punkt sitzt. Ich bin in den Siebzigern groß geworden, und – trotz guter musikalischer Ausbildung – ist mir dies damals keinesfalls aufgefallen. Der Maßstab ist heute jedoch ein ganz anderer, und der wurde durch die computergenaue Time der Drumcomputer gesetzt.

Dabei geht es zwar auch, aber gar nicht in erster Linie um den Einsatz der Computer in der Musikproduktion. Weit wichtiger ist, daß deren akurates Timing zu einer Herausforderung all jener wurde, die mit ihm zu spielen hatten. Mein erster Computer war ein Drumcomputer – und ich habe ihn nicht angeschafft, um damit Discomusik zu produzieren, sondern um mit seiner Hilfe zu üben. All jene Musiker, die ebenso alt oder jünger sind wie ich, haben dies getan, und dadurch eine völlig andere Beziehung zum Rhythmischen entwickelt als all jene, die zuvor allenfalls zum wackligen und eiernden analogen Metronom geübt hatten. Die Folge war, daß die Musik in allen Stilrichtungen plötzlich einem Ideal von rhythmischer Präzision folgte, das gewissermaßen zum universellen Paradigma wurde. Man kann beliebige Aufnahmen des Pop und Jazz seit etwa Mitte der 80er herauskramen – man findet durchgängig bei allen Instrumentalisten (nicht nur den Drummern) ein Timing, das tight ist wie nie zuvor.

Das hat seine Spuren natürlich auch bei den Hörern hinterlassen, und einen Graben zwischen der Musik vor und nach dem Aufkommen der Drumcomputer aufgerissen. Wenn ich mir heute eine Aufnahme der Beatles anhöre, bekomme ich ernstliche Zweifel, ob diese Musik noch die nächsten 50 Jahre überleben wird, oder ob sie dann allenfalls von historischem Interesse ist. Ringos Schlagzeug nach zu urteilen, gilt letzteres wohl schon heute.

[Ich kann das Thema hier nur anreißen – mehr findet sich in den Baukästen über Musikproduktion am Computer und die Entwicklung der Computertechnik, sowie meinem Versuch einer Theorie der Rhythmik.]