30.11.2009

Die Konstruktion der Wirklichkeit (3)

(Themenanfang)

Wenn man davon ausgeht, daß Menschen nicht einfach eine objektiv gegebene Wirklichkeit wahrnehmen, sondern sie erst konstruieren, kann man erklären, warum im Lauf der Jahrtausende derart unterschiedliche Entwürfe der Welt entstehen konnten. Es ist ja nicht so, daß die Menschen im Mittelalter im großen und ganzen so gedacht haben, wie wir dies heute tun, nur, daß sie halt ein paar unsinnige Konzepte wie die einer ca. sechstausend Jahre alten und von Gott in sieben Tagen geschaffenen Welt hatten. Das ist ein Bild, wie es vielleicht in den zur Zeit so modischen historischen Romanen gepflegt wird, das aber absolut nichts mit den tatsächlichen Verhältnissen zu tun hat. Mit einem mittelalterlichen Menschen verbindet uns fast nichts mehr, und in dessen Vorstellungswelt kann man sich heute höchstens behelfsmäßig versetzen. Dasselbe gilt auch für alle anderen Zeiten. Selbst der Lebens- und Vorstellungswelt der Generation unserer Großeltern kann man letztlich nicht mehr nahe kommen, von jener aus ganz entfernten Epochen ganz zu schweigen.[1]

All diesen Entwürfen ist aber zumindest eines gemeinsam: sie versuchen, die Welt zu einem berechenbaren Ort zu machen, wo man sich nicht von einem Zufall zum nächsten hangelt, sondern die eigenen Bedürfnisse möglichst gezielt befriedigen kann. Eine der ersten Lektionen, die ein Baby lernt, ist die merkwürdige Tatsache, daß ein „Ding” auch dann noch da ist, wenn man gerade nicht hinsieht. Dabei ist die Welt aber nicht statisch, sondern verändert sich ständig. Das Gesicht der Mutter z.B. sieht völlig anders aus, je nachdem, ob es freundlich oder böse blickt. Die beobachtete Umwelt verändert sich im Lauf des Tages mit dem Schatten, den die Sonne wirft, und selbst Dinge, die man in der Nacht nicht sehen kann, sind möglicherweise nachts noch im Weg. Der Konstruktion einer in sich konsistenten Welt steht eigentlich alles entgegen – es ist ein veritables Wunder, daß sie dennoch gelingt.

Diese Konsistenz ist nicht unmittelbar erfahrbar, sondern muß erst konstruiert – gelernt[2] – werden. Allererstes Hilfsmittel hierfür ist die Suche nach Ursachen – warum hat sich das Gesicht der Mutter verändert? warum verschwindet in der Nacht das Licht? etc.pp. Wenn man die Ursache einer Veränderung weiß, kann man eine veränderte Beobachtung mit demselben „Ding“ verbinden. Fehlt dieses Bindeglied, muß man zwei aufeinander folgende Beobachtungen verschiedenen Dingen zuordnen. Tatsächlich basiert die gesamte Konstruktion der Wirklichkeit auf der Unterscheidung, ob sich zwei unterschiedliche Beobachtungen auf dasselbe Objekt oder zwei verschiedene Objekte beziehen. Je mehr Dinge ich als identisch identifizieren kann, desto stabiler ist mein Umfeld, und je mehr Ursache-Wirkung-Beziehungen ich bilde, desto besser ist meine Fähigkeit, zukünftige Ereignisse vorauszusagen bzw. die Folgen meines Handelns abzuschätzen. Beides ist ursächlich für die Fähigkeit, in einer ständig sich verändernden Welt zu überleben.

Die Suche nach – oder vielmehr die Konstruktion von – Kausalität ist nicht auf den Menschen beschränkt, sondern gehört wohl zum Grundbestand jedes mit einem Gehirn ausgestatteten Tieres. Bei Tauben hat man dies vor mehr als fünfzig Jahren eindrucksvoll nachgewiesen, als B.F.Skinner sie in die nach ihm benannten Skinner-Boxen sperrte.

(Hierher gehört das Zitat über Skinners verrückte Tauben)

  1. [1] Ich will auf einen anderen Punkt hinaus und schweife ab - auf den gerade angerissenen Zusammenhang komme ich später zurück.
  2. [2] „Konstruktion“ und „Lernen“ sind m.E. zwei Seiten derselben Medaille - auch dazu später mehr.

[Ich muß mich vertagen]

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