18.8.2009

Funktionen des Erinnerns (2)

(Teil 1)

Erinnerungen reisen in unterschiedlicher Gestalt. Als erstes manifestieren sie sich in Artefakten menschlicher Arbeit, die Archäologen in einen Zusammenhang stellen und auf ihre Funktion befragen. Danach sind sie mündliche Überlieferung, die später in Form von Texten objektiviert oder komplett durch sie ersetzt werden. Daneben sind sie bis heute und immer schon Bilder.

Texte haben eine Vielzahl unterschiedlicher Formen: aufgezeichnete Mythen und Legenden, im Auftrag eines Herrschers verfasste Chroniken, objektive Aufzeichnungen über Art und Zahl von Waren, explizite Geschichtsschreibung, usf. Sie spielen als Medium der individuellen Geschichte jedoch allenfalls eine Nebenrolle. Man bewahrt alte Briefe, oder schreibt ein Tagebuch. Der Schwerpunkt des eigenen Erinnerns ist die mündliche Rede, die aus der Geschichtsschreibung fast völlig verschwunden ist, und allenfalls dort noch eine Rolle spielt, wo der Professor eine Vorlesung hält.

Daneben steht die Tradierung von Bildern. Sie begann lange vor der Erfindung der Schrift, und zieht sich fort bis heute. Dabei sind Form wie Medium bildnerischen Schaffens ausgesprochen reich an Varianten. Das Medium ist am Anfang die Wand einer Höhle, und heute ein multimediales Video im Internet. Wichtiger noch ist die Form: sie schwankt im Lauf der Geschichte immer wieder zwischen abstrakten und realistischen Darstellungen, mit den abstrakten Spielereien der Moderne ebenso im Extrem wie in der heutigen Realistik von Fotografie und Film.

Zum Transport des Erinnerns taugen Bilder am allerbesten und sind in hohem Maß trügerisch zugleich. Ich hatte behauptet, daß Erinnerungen in Bildern kommen, welche in Erzählungen verwandelt und aus diesen wieder zurück in neue Bilder verwandelt werden. Wenn das stimmt, haben bildnerische Darstellungen den großen Vorteil, der Erinnerung äußerst verwandt zu sein, so daß durch ihren Anblick jener Übersetzungsprozeß überflüssig wird, der jede Erzählung notwendig verzerrt. Gleichzeitig ist diese Nähe aber immer auch eine Illusion. Ein Foto gleicht nicht dem erinnerten, traumhaften Bild. Es weist eine Objektivität und Dinglichkeit auf, die dem Traum völlig fremd ist. Es muß letztlich ebenso übersetzt werden wie eine Erzählung, nur daß seinem Betrachter dies leicht entgeht.

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