4.8.2009

Musikinstrumente (5)

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Das Instrument eines Sängers ist sein Körper, und auf den ersten Blick sieht es so aus, daß er ohne jede äußerliche Hilfe operiert, rein aus seiner eigenen Subjektivität und ohne jede mechanische Krücke. Er erscheint als das genaue Gegenbild eines Musikers, der sich mechanischer, elektrischer oder elektronischer Hilfsmittel bedient und sich somit (in unterschiedlichem Maß) in objektive Sachzwänge hineinbegibt, denen er seinen unmittelbaren Ausdruck unterwerfen muß.

Bei genauerem Hinsehen ist aber gerade ein ausgebildeter Sänger in hohem Maß von Technik abhängig, nämlich jener, die er sich in seiner Ausbildung angeeignet hat, um den eigenen Körper zu beherrschen. Im Konzertsaal und in der Oper gibt es, soweit ich das weiß, keinen Sänger, der sich als Autodidakt seine Technik selber erschlossen hat. Man kann sich hier kein Wissen anlesen, und auch autodidaktische Selbstversuche führen nicht weiter. Es braucht eines kundigen Lehrers, der nicht nur erste Schritte vermittelt, sondern über lange Zeit seinen Schüler unterweist - z.T. sogar noch dann, wenn dieser bereits an einer eigenen professionellen Karriere arbeitet.

Die Technik des Sängers ist in objektiver Begrifflichkeit letztlich nicht zu beschreiben. Die vermittelten Techniken unterscheiden sich von Lehrer zu Lehrer, und sie sind oft eine seltsame Sammlung von subjektiven Vorstellungen und Einbildungen über Zustände des Körpers. Ein gängiges Bild etwa ist jenes vom „Sitz” der Stimme. Gestützt vom Zwerchfell („Stütze”) bildet sich der Ton im Körper, und fokussiert sich in einem imaginären Punkt, der zwischen den Augen, aber ein gutes Stück vor dem Kopf liegt. Es gibt andere Bilder, die dazu dienen, den Kopf als Resonanzraum „freizuräumen”, die Seiten neben dem Bauch mit Atem zu füllen, und das Zwerchfell als Kontrollinstanz für die Tonentwicklung dienstbar zu machen, etc.

Solche Art der Herrschaft des Sängers über seinen Körper ist nur im ersten Moment komplett anders als jene, die man für die Bedienung eines Computers braucht. So wie der Sänger mit metaphorischen Bildern arbeitet, um seinen Körper in bestimmte Zustände zu versetzen, so ist auch jemand, der Tastatur und Maus am Computer bedient, in einer auf dem Bildschirm präsentierten Vorstellungswelt unterwegs, die von den realen Gegebenheiten (zuweilen grotesk) abstrahiert. Ein Sänger, der mit seinem Ton „zwischen den Augen nach außen sticht”, ist nicht weit entfernt vom Computermusiker, der auf ein Icon klickt, das auf dem Bildschirm die Taste eines virtuellen Tonbands simuliert.

Wirklich ernst mit dem Abschied jeder Technik macht der Gesang im Rock und Pop. Auch hier sind zwar außergewöhnliche Stimmen gefragt - dabei wird aber jede Schulung, jede Form von Verfeinerung des ursprünglichen Zustands der Stimme rigoros abgelehnt. Man erkauft dieses Beharren auf der unverkünstelten Reinheit allerdings damit, daß selbst einem Rocksänger, der im Zweifelsfall mit überschnappender Stimme am Schreien ist, jedes Volumen, jede echte Kraft fehlt. Um das auszugleichen, greift man dann doch wieder zurück auf Technik. Selbst bei Konzerten, die „unplugged” mit unverstärkten Instrumenten gespielt werden, wird immer zumindest der Sänger mit Mikrophon und Verstärker ausgestattet.

Die Abhängigkeit des Sängers von (externer) Studiotechnik wird dort ins Extrem gesteigert, wo er nicht einmal mehr intonieren kann. Die Koppelung von Popmusik und Mode, die spätestens seit den 80ern immer deutlicher und unauflösbarer wurde, hat dazu geführt, daß Popstars immer stärker nach ihrem Aussehen gecastet wurden, bis ihr musikalisches Können schließlich überhaupt keine Rolle mehr spielte. In den 80ern hat man gelegentlich versucht, die Stars im Studio durch kompetente Musiker zu ersetzen. Die damit verbundene Gefahr eines Skandals und der Verlust jeder Glaubwürdigkeit muß man heute nicht mehr fürchten. Die modernen Computer bieten genug Rechenleistung, um selbst komplexe Algorithmen zur Korrektur von wackelnder Intonation in Echtzeit auszuführen - von den Effekten ganz zu schweigen, die eine dünne, nichtssagende Stimme in ein zumindest bei oberflächlichem Hören überzeugendes „Organ” verwandeln.

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