2.6.2009

Sinn und Abstraktion (1)

(Themenanfang)

Für Techniker und Planungstheoretiker war das Problem der Komplexität das entscheidende Problem: Planung läuft auf Komplexität auf, die planende Instanz steht außerhalb dessen, was sie plant, und hat nicht [...] die Möglichkeit, ebenso viele Zustände anzunehmen wie das, was sie plant oder wie die Welt draußen. Sie muss Komplexität reduzieren, wie dann die Formel heißt. Sie muss versuchen, elegante Lösungen für viel schwierigere Probleme zu finden. Sie muss vereinfachen. Sie muss technisieren, abstrahieren, Modelle bilden und dann versuchen, die Systeme über solche Modelle zu steuern.

(Niklas Luhmann. Einführung in die Systemtheorie. Heidelberg 2008, S. 236)

Das klingt sehr ähnlich wie meine eigenen Überlegungen. Luhmann geht hier jedoch noch einen entscheidenden Schritt weiter: er stellt die These auf, daß „Komplexitätsmanagement” auf der einen Seite und „sinnhafte Interpretation” auf der anderen Seite dasselbe Problem haben: den Zwang, zu seligieren.

Zunächst ist Luhmanns Definition von „Sinn” nichts für schlichte Gemüter - das ist denkbar weit entfernt von jeder alltagstauglicher Definition des Begriffs. Luhmann zufolge gibt es „Sinn”, der sich auf psychische Systeme, und „Sinn”, der sich auf soziale System bezieht. Damit ist „Sinn” nicht länger auf ein Subjekt bezogen. Psychische Systeme, die durch Bewußtseinstätigkeit in Gang erhalten werden, werden hier unterschieden von sozialen Systemen, die sich durch Kommunikation reproduzieren. Bewußtsein und Kommunikation sind hier also zwei strikt voneinander getrennte Begriffe. Bewußtseinssysteme erleben sich selber als sinnhaft, soziale Systeme reproduzieren Sinn durch Kommunikation. Dabei ist Sinn nicht objektiv von Außen gegeben, sondern wird vom System überhaupt erst produziert. Luhmann zufolge ist Sinn das Gedächtnis, das ein System produziert, wenn es sein eigenes Operieren beobachtet.

Für Sinnsysteme ist die Welt kein Riesenmechanismus, der Zustände aus Zuständen produziert und dadurch die Systeme selbst determiniert. Sondern die Welt ist ein unermeßliches Potential für Überraschungen, ist virtuelle Information, die aber Systeme benötigt, um Information zu erzeugen, oder genauer: um ausgewählten Irritationen den Sinn von Informationen zu geben.

(Niklas Luhmann. Die Gesellschaft der Gesellschaft. Ff./M. 1998. S.46)

Ich paraphrasiere das so: die Welt ist ein Potential von Möglichkeiten, aus denen Systeme auswählen. Eine Information wird mitgeteilt, oder sie bleibt unausgesprochen. Eine Mitteilung, die auf jemanden stößt, der sie entgegen nimmt und auf sie reagiert, wird schließlich zu Kommunikation - und bestätigt damit das Medium, in dem sich soziale Systeme selber erhalten und reproduzieren. „Sinn” ist diesem Konzept zufolge die Erinnerung an eine Auswahl, die erfolgreich war.

Damit schließt sich der Kreis: Abstraktion ist eine Auswahl aus einer komplexen Welt, um diese Komplexität planbar zu machen. „Sinn” ist die Erinnerung an eine Auswahl, die man in der Vergangenheit erfolgreich vorgenommen hatte, und an der man die Möglichkeiten zum Anschluß an die Gegenwart mißt.

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