16.5.2009

Ricky

François Ozon: Ricky

Regie: François Ozon
Buch: François Ozon (nach einer Kurzgeschichte von Rose Tremain)
Darsteller: Alexandra Lamy, Sergi López, Mélusine Mayance
Musik: Philippe Rombi


Katie ist eine junge Frau, die am unteren Ende der Gesellschaft sich selbst und ihre siebenjährige Tochter nur knapp über Wasser hält, indem sie am Fließband einer Chemiefabrik Flaschen den Deckel aufschraubt. Als sie Paco kennen lernt, scheint sich ihr Schicksal zu wenden: die beiden werden ein Paar, und Katie wird rasch schwanger.

Als das Baby - Ricky - geboren wird, gerät die Beziehung seiner Eltern auf den Prüfstand: es braucht einigen Streit, bevor Paco die Rolle des Vaters ernst zu nehmen beginnt und sich an der Betreuung des Babys beteiligt. Nachdem er einen kompletten Tag mit Ricky allein war, findet Katie abends jedoch einen großen blauen Fleck auf dem Rücken des Babys. Als wenige Tage später ein zweiter Fleck auftaucht, bezichtigt sie Paco, das Baby zu schlagen. In seiner Ehre zutiefst gekränkt, verläßt der seine Familie.

Es stellt sich heraus, daß die blauen Flecken nicht von Schlägen herrühren: Ricky wachsen Flügel. Katie ist völlig ratlos und will die scheinbare Mißbildung erst nicht wahrhaben, dann vor der Welt verheimlichen. Die Flügel werden aber immer größer, und bekommen schließlich auch Federn. Bald ist Ricky in der Lage, vom Boden abzuheben und im Wohnzimmer herumzuflattern. Es ist klar, daß man solch ein Kind nicht lange vor der Welt geheim halten kann - und schließlich platzt auch die Bombe.

Was anfangs als Sozial- und Milieudrama beginnt, kippt also in mystische Fantasy. Das ganz Erstaunliche an diesem Film ist, daß dieses Umkippen keineswegs aufgesetzt oder krude erfunden wirkt. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, einen Film zu sehen, mit einer durchgehenden, in sich konsistenten Handlung. Die Figuren wirken nirgendwo unlogisch, sondern agieren immer so, wie man es anhand ihres zuvor geschilderten Charakters auch erwarten würde. Auch die bizarre Situation, daß dem Kind plötzlich Flügel wachsen, wird nicht als Sensation in die Welt gesetzt, sondern ganz behutsam in die Geschichte eingeführt - das erscheint ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, daß ein Baby in die Windeln scheißt, und beides wird auch in ähnlich drastischer Bildlichkeit vorgeführt. Dann werden auch die Konsequenzen wunderbar zuende gedacht: Ricky fliegt genauso unbeholfen durch das Wohnzimmer und stößt überall an, wie das ein Baby halt tut, wenn es laufen lernt - mit der zusätzlichen Komplikation, daß er im dreidimensionalen Raum unterwegs ist und z.B. die brennenden Lampen an der Decke eine Gefahr für ihn sind.

Wie üblich bin ich mehr von den formalen Aspekten eines Films fasziniert (wie sich das für einen ordentlichen Musikus auch gehört), und mag keinen Text mit dem Versuch einer inhaltlichen Deutung schreiben. Aber das haben andere ja bereits erledigt:

Die Konzentration auf die biologischen Aspekte des Menschseins und die fleischliche Detailverliebtheit vor allem beim Flügelwachstum erinnern an David Cronenbergs »body horror«. Ozon verknüpft die sehr haptischen Bilder mit mythologischen Aspekten. Wieder spielt er mit den verschiedenen Rollen einer Frau, auch Katie ist Hure und Heilige. Erst vernachlässigt sie egoistisch ihre Tochter, um sich mit Paco zu treffen, dann opfert sie sich selbstlos für ihr Neugeborenes auf.

(Mary Keiser beim Schnitt-Magazin).

Den Schluß des Films werde ich nicht verraten - das ist eine so zauberhafte, poetische Idee, daß ich allein ihretwegen nur raten kann, den Film nicht zu verpassen.

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