Musik als Kommunikation - Notizen

Bei meinem ersten Versuch, die Frage zu klären, ob man Musik mit Luhmanns Definition von Kommuniktion zu fassen bekommt, hatte ich einen Knoten im Kopf. Ich hatte versucht, vom Medium auszugehen, mittels dessen kommuniziert wird - der Sprache. Tatsächlich könnte man Musik als „musikalische Sprache“ bezeichnen - insofern liegt es nah, erstmal an dieser Stelle zu bohren. Die Stelle, an der ich dann gescheitert bin, war der Versuch, die beiden Seiten, aus denen sich Sprache zusammensetzt, auf Musik zu übertragen - „Laut“ und „Sinn“ (Transportmittel und Ladegut). Der „Sinn“ von Musik ist nicht derselbe, wie jener, den Sprache vermittelt – mich hat hier mein Rekurs auf die Problematik der Programmmusik in die Irre geführt. Tatsächlich gibt es einen genuin „musikalischen Sinn“, der sich nicht von der „äußeren Realitiät“ ableitet, sondern vom musikalischen Material, aus dem Musik zusammengesetzt ist. Musik „besteht aus“ oder „verweist auf“ musikalisches Material, wie Sprache auf die beobachtete oder vorgestellte Welt. - Also nochmal von vorne.

Um die Frage zu klären, ob in der Musik Kommunikation stattfindet, folge ich Luhmanns Definition und gehe vom Empfänger aus, dem Hörer. Auf der Seite des „Alter” (Sender - der Komponist bzw. Interpret) muß eine Auswahl stattfinden, die so, aber auch anders hätte ausfallen können. Das „Ego” (Empfänger - der Hörer) muß also eine Erwartung an die klingende Musik haben, die erfüllt wird oder aber auch nicht. Erst dieses Spannungsgefüge definiert Kommunikation.

Wenn man diese Definition akzeptiert – Margot Berghaus weist darauf hin, daß man hier durchaus die Wahl hat – wird man antworten können: in der musikalischen Praxis findet Kommunikation statt, und zwar auf mehreren unterschiedlichen Ebenen. Der Interpret kommuniziert als „Alter” mit dem Hörer und als „Ego” mit dem Komponisten. Der Komponist kommuniziert darüber hinaus noch (als Alter) mit dem Hörer, sofern dieser der musikalischen Struktur folgt. Schließlich kommunizieren die Mitglieder eines Ensembles untereinander. [1]

In einem Konzert wird ein Hörer idR. mit einer bestimmten Erwartung an die dargebotene Musik herantreten, die vom Interpreten eingelöst wird, oder – weil dieser eine andere Vorstellung vom Werk hat – auch nicht. Damit handelt es sich, Luhmanns Definition zufolge, um Kommunikation.

Ein Komponist seligiert[2] bei seiner Arbeit aus einem großen „Pool” musikalischen Materials und setzt es zu einem Werk zusammen. Das ist nahezu identisch mit der Unterscheidung zwischen „Information” und „Mitteilung”, aus der die Differenz in der Kommunikation mittels Sprache entsteht - im einen Fall wird Information aus der (beobachteten oder vorgestellten) „Welt” bezogen, im anderen aus der Welt des musikalischen Materials. Das Medium der Mitteilung ist dann jeweils sehr ähnlich.

Meine Beschreibung der Interaktion innerhalb eines Ensembles müßte ich minimal begrifflich anpassen, um Luhmanns Definition zu entsprechen. Das ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, daß Luhmann nicht ein theoretisches System „erfindet”, dem nachträglich die Realität zugeordnet wird. Oben verlinkter Text ist „ohne Luhmann” entstanden, und stellt einen Versuch dar, eigene Praxis zu ordnen - „mit Luhmann” wird das dann plötzlich ganz einfach (vergl. dort den vorletzten Absatz, über das Problem der „Nicht-Kommunikation” beim Einsatz eines Click-Tracks).

Einige ungeordnete Punkte:

  • Der Unterschied zwischen Sprache und Schrift führt, laut Luhmann, zu einem qualitativen Sprung in der Kommunikation (was - weil soziale Systeme durch Kommunikation definiert sind - gewaltige Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft hat). Dasselbe müßte bei der Entwicklung der Notenschrift beobachtbar sein - wobei die Konsequenzen der Zurückdrängung der Schriftform von Musik in der Popmusik (neu) zu bewerten wären.

  • Auch die Entwicklung der Massenmedien und der damit einhergehenden Veränderung von Formen der Kommunikation müßte in der Musik Parallelen haben (Stichworte: Musikindustrie; Pop als Mode).

  • Den Begriff des „musikalischen Materials” habe ich natürlich von Adorno. Dabei ist dort der Begriff dialektisch hergeleitet: in der Subjekt-Objekt-Dialektik der Arbeit der Komponisten mit und an dem musikalischen Material entwickelt letzteres sich stetig fort. Man muß m.E. aber langsam einsehen, daß diese Teleologie Anfang bis Mitte des letzten Jahrhunderts sich der Analyse geradezu aufgezwungen hatte, mittlerweile aber nur noch in der Lage ist, den Zustand des Musiklebens als Verfall zu beschreiben.

    Wenn man zur Abwechslung das Material einfach als gegeben - als „Welt” - betrachtet, könnten sich neue Sichtweisen ergeben, die keineswegs voraussetzen, jene Dialektik abzustreiten, die es hervorbringt (bzw. einst hervorbrachte, bevor die Entwicklung abbrach).

  • Wenn ein Radio bei der täglichen Küchenarbeit im Hintergrund dudelt und nur beiläufig wahrgenommen als „akustische Tapete“ fungiert, gibt es keine Differenz und keine Erwartung – hier findet ebenso wenig Kommunikation statt wie in jenen Passagen, wo ein Nachrichtensprecher einen Text spricht, der nicht wahrgenommen wird. Diese Art von „Nicht-Kommunikation“ ist also auch auf der sprachlichen Ebene möglich, auch wenn sie dort eher selten vorkommt. In der Musik ist ein Hören, das gar nicht zuhört - und demzufolge nicht kommuniziert -, regelmäßig zu beobachten und in bestimmten Zusammenhängen sogar die Regel.

  • Auch bei Äußerungen in einer Sprache, die dem „Ego“ unbekannt ist, kommt es zu keiner Kommunikation. Auf der sprachlichen Ebene wird man diesen Versuch rasch abbrechen. Im Bereich von Musik ist die Situation komplexer, weil man auch Musik mit großer Begeisterung folgen kann, die man „nicht versteht“. Die Erwartungshaltung an den Alter ist dann losgelöst von dessen tatsächlichen Selektionen – ein Komponist kann z.B. ein komplexes Formgerüst entwerfen, indem er aus dem musikalischen Material seligiert, ohne daß ein Hörer dies nachvollziehen muß. Die Wahrscheinlichkeit, daß „aneinander vorbei geredet“ wird, ist in der Musik weit größer als in der Sprache. Das ist Luhmanns Definition zufolge aber immer noch Kommunikation. Es gibt keine „mißlingende” Kommunikation - entweder, sie findet statt, oder nicht.

  • Musik ist auf der einen Seite Klang, auf der anderen Struktur. Beide Seiten können getrennt oder gemeinsam wahrgenommen werden, und auf beiden Ebenen kann es zu Kommunikation kommen. Ein Hörer kann eine bestimmte Erwartung an die Interpretation eines bestimmten Werks haben, oder er kann eine Erwartung an dessen musikalische Struktur in Bezug auf das musikalische Material haben. Im einen Fall kommuniziert er mit den Interpreten, im anderen mit dem Komponisten - oder auch mit beiden Ebenen gleichzeitig (was die Regel ist).

  • Ich müßte meinen „Klang“-Begriff danach abklopfen, inwieweit er dazu taugt, die Bereitschaft zu erklären, „unverstandener“ Musik zuzuhören.

  1. [1] Das ist ein Beispiel dafür, daß derselbe Akteur zeitgleich Teil zweier unterschiedlicher sozialer Systeme sein kann.
  2. [2] Seligieren = auswählen.