24.4.2009

Musik als Kommunikation

Ich hatte Frau Professor Berghaus eine Mail geschickt mit einem Verweis auf meinen gestrigen Eintrag. Heute Mittag war dann nicht nur ein Dankeschön für die Würdigung ihres Buchs, sondern auch eine ausführliche Antwort auf meine Fragestellung in meiner Mailbox.

Mit ihrer freundlichen Erlaubnis stelle ich ihre Antwort hier ein.

Von Margot Berghaus

Sie diskutieren, ob Musik Kommunikation ist. Das kann natürlich jeder nach seiner höchstpersönlichen Auffassung so oder so sehen – das mal vorausgeschickt. Das meine ich ernst, und Luhmann hätte das auch gesagt! Aber innerhalb seines Verständnisses würde er m.E. ungefähr so argumentieren:

Immer dann, wenn die Definition von Kommunikation zutrifft, handelt es sich um K. Dazu gehört (wie Sie ja treffend sehen und sagen)

(1) Selektion der Information und

(2) Selektion der Mitteilung bei "Alter", dem Sender.

(3) Selektion des Verstehens bei "Ego" dem Empfänger.

Der Empfänger muss die Differenz zwischen (1) und (2) beim Sender verstehen oder unterstellen; muss also verstehen oder meinen, dass der Andere die Wahl gehabt hat, dieses oder etwas anderes oder auch gar nichts mitzuteilen. Von Akt (3) her bestimmt sich, ob Kommunikation vorliegt. Also nicht, ob jemand mit seiner Musik etwas mitteilen will; auch nicht, ob er/sie damit ein Stück äußerer Realität abbilden will; auch nicht, dass ein bestimmtes Medium benutzt wird, ist entscheidend. Sondern nur, dass Ego/ich als Empfänger meint/denkt/spürt: der Andere, nämlich der Komponist oder der Musizierende bzw. mein Mit-Ensemble-Mitglied hat eine Selektion getroffen; er/sie hat entschieden, dieses auf diese Weise musikalisch darzustellen und nicht etwas anderes auf andere Weise, was auch im Rahmen des Möglichen hätte liegen können; und diese Selektion ist vom Anderen als eine Mitteilung an mich gemeint (z.B. hör mal diese Klänge, Dissonanzen, Rhythmen, diese Musik ist besser als andere, spiel schneller…)

Also wenn jemand (als Ego) jemand Anderem (als Alter) irgendetwas Entsprechendes unterstellt, liegt Kommunikation vor. Wenn man von dem Anderen aber lediglich etwas wahrnimmt, ohne diese Mitteilungs-Intention zu erkennen/zu unterstellen, ist das schlicht Wahrnehmung und nicht Kommunikation. Luhmann setzt nicht bei dem Macher/Sender an, sondern bei dem, der etwas als Mitteilung auffasst, also beim Adressaten/Empfänger. Das muss man eisern durchhalten, wenn man seine Argumente auf Stringenz prüft. Danach ist auch zu prüfen, ob ein Streichquartett ein soziales System ist. M.E. selbstverständlich ja!

Andere Autoren können selbstverständlich andere Definitionen von Kommunikation verwenden, die den Sender als entscheidende Instanz sehen bzw. behaupten, sie sähen beide Instanzen als gleichberechtigt. Aber ich bin mal so arrogant zu sagen: Habe alle Definitionen von Kommunikation in der Medien- und Kommunikationswissenschaft geprüft und jahrzehntelang in Vorlesungen vorgetragen, in Seminaren diskutiert: Keine hält wirklich Stand so wie die von Luhmann.

Im Blog steht zu Ihren Ausführungen folgender Kommentar:

1) Fragezeichner:

Ist nicht alles, was Menschen tun, Kommunikation? Die Frage ist doch: ist Musik bewusste Kommunikation, kann Musik eine bewusste Botschaft ihres Schöpfers transportieren? Oder ist sie nicht grösstenteils eine Projektionsfläche des Hörers oder des Interpreten? Wenn Musik eine Sprache ist, können dann zwei Menschen, die diese Sprache verstehen, miteinander über Musik kommunizieren (oder bilden sie sich das ein)? Faszinierendes Thema...dranbleiben!

Mit Luhmann argumentiert: Nicht alles, was Menschen tun, ist Kommunikation. Sondern alles, was Menschen als Mitteilung/als Kommunikation auffassen, ist Kommunikation! Nicht der "Tuer"/Akteur ist entscheidend, sondern der Interpret. Darum ist völlig richtig, was im 3. Satz des Kommentars nach „Oder“ kommt: Man kapiert etwas, projiziert etwas, interpretiert etwas, und zwar als bewusste Selektion des Mitteilenden, die der auch ganz anders hätte treffen können. Ob man die Mitteilung inhaltlich deckungsgleich mit dem Andern versteht, ist zunächst ganz nachrangig. Das wird dann meistens in der Anschlusskommunikation nachgefragt, diskutiert, behauptet, bestritten/stellt sich heraus usw.

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