Sahra Wagenknecht zur Finanzkrise

Es ist schon bezeichnend, daß eine bekennende Kommunistin, die anderswo schon einmal den Bau der Mauer für unumgänglich erklärt (s.u.), in ihrer Analyse der derzeitigen wirtschaftlichen Situation komplett richtig liegt - das wird ihr ausgerechnet von Marc Beise bestätigt, der in der SZ zum wirtschaftsliberalen Kern gehört[1]. - Das ist mit 45min recht lang, aber trotzdem spannend - Wagenknecht ist eine Politikerin reinsten Wassers, die noch frei sprechen kann, und allenfalls mit einem gelegentlichen „sozusagen” ihre Rede zum Nachdenken unterbricht. Dabei hat sie sich den Jargon der marxistischen Orthodoxie abgewöhnt, ohne freilich inhaltlich an Schärfe zu verlieren.

(Via NachDenkSeiten.)[2]

Marc Beise zitiert Wagenknecht mit den Worten, sie hielte die Mauer für ein „notwendiges Übel”. Dieses Zitat findet sich auch in der Wikipedia, dort mit Verweis auf die Ausgaben der Weißenfelder Blätter von 1992. Im dortigen Archiv ist dieses Zitat aber definitiv nicht zu finden - da hat sich mal wieder eine Geschichte selbstständig gemacht, in der jeder bei jedem abschreibt. - Dabei ist das inhaltlich sogar richtig (bloß eben nicht als wörtliches Zitat); man findet unter dem obigen Link z.B. folgendes aus Wagenknechts Feder:

Mit der Entspannungspolitik wurde die Krise des Sozialismus eingeleitet, sein Untergang vorbereitet. [...] Der erzeugte gesellschaftliche Reichtum war zwar nicht üppig - und sehr viel geringer, als er bei einer anderen Politik hätte sein können -, aber er wurde in solcher Weise verteilt, daß in der DDR niemand so leben mußte wie das untere Bevölkerungsdrittel in den imperialistischen Metropolen. Die entscheidende Grundlage sozialistischer Politik, das Volkseigentum, bestand fort. Trotz vorherigem Niedergang war die Konterrevolution des Herbstes 1989 also ein gravierender, ein qualitativer gesellschaftlicher Rückschlag.

Anderswo findet sich ein Loblied Walter Ulbrichts, und vieles mehr. Ich habe es auf mich genommen und den kompletten Text gelesen: da kommt ein ganzes Bündel an Fehldiagnosen mit einer unerfreulichen Neigung zur Schönrednerei zusammen, ein Phänomen also, das man in der kommunistischen Bewegung seit jeher beobachten kann: die Analysen des Kapitalismus sind idR brillant, jene der Leistung der eigenen Leute schlicht unerträglich. Wie lange hat man Stalin in der KPD noch verehrt, als längst für jeden sehenden Menschen klar sein mußte, daß man es mit einem der schlimmsten Massenmörder der Geschichte zu tun hatte! Ich hatte in den 80ern recht viel mit DKP-lern und Spartakisten zu tun, und habe irgendwann gelernt, mit ihnen nicht mehr zu reden: es ist komplett sinnlos, man spricht da gegen eine Mauer (sic!).

Wenn ich mir dieses dogmatische Festhalten an einem fehlgeschlagenen Modell ansehe, stelle ich mir die Frage, ob womöglich auch die Analyse der kapitalistischen Wirklichkeit nichts anderes darstellt, als die angelernten Muster der Orthodoxie in neue Worte zu kleiden - ob es also vielleicht nur ein Zufall ist, daß die Deutung in sich stimmt, und mit einer kritischen Beobachtung des Geschehens wenig zu tun hat.

Zum zweiten muß man wohl sehen, daß eine korrekte Analyse der Krise nicht automatisch einhergeht mit einem in sich stimmigen Vorschlag zu ihrer Lösung. Gerade hier habe ich großen Zweifel, ob die Ideen zur Verstaatlichung von Schlüsselindustrien oder das Pumpen von noch mehr Steuergeldern in den stockenden Konsum tatsächlich dazu dienen würden, die Blase zu beenden, und nicht vielmehr dazu dienen, sie von einer anderen Seite - die zweifellos wesentlich sinnvoller wäre - weiter zu bedienen.

  1. [1] Der letzte Absatz von Beises Buchkritik ist derart symptomatisch für den derzeitigen jämmerlichen Zustand in den Köpfen von führenden Wirtschaftswissenschaftlern und -journalisten, daß ich ihn zitiere:


    Wagenknecht beschreibt die Abläufe präzise, besticht durch Fachwissen, und häufig gelingen ihr allgemeinverständliche Erklärungen für komplizierte Vorgänge auf dem Finanzmarkt. Das Buch Wahnsinn mit Methode ist nicht in erster Linie ein politisches Manifest, sondern vor allem eine interessante ökonomische Analyse. Dass sich daraus andere politische Konsequenzen ergeben als bei der herrschenden ökonomischen Meinung, kann bei einer bekennenden Kommunistin nicht verwundern. Erschreckend ist eher, dass manche ihrer Forderungen vom wirtschaftspolitischen Alltag und den Äußerungen maßgeblicher Politiker selbst der Regierungsparteien gar nicht mehr so weit voneinander entfernt sind - obwohl doch nicht die Linke regiert, sondern eine große Koalition, die sich tagein, tagaus auf den liberalen Ordnungspolitiker Ludwig Erhard beruft.

    Die Widersprüche muß ich nicht eigens auflösen; das gelingt jedem Schulkind in der 7.Klasse.