1.2.2009

Gustav Mahler. Symphonie Nr. 3

Als Bruno Walter in jenem Juli [1895] am Steinbacher Schiffssteg an Land ging und auf die Klippen des Höllengebirges starrte, sagte Mahler zu ihm, er brauche sich das gar nicht anzusehen, denn »das habe ich schon alles wegkomponiert«.

(Jonathan Carr: Gustav Mahler, München 1999, S.108)

Diese Aussage bezieht sich sicherlich auf den ersten der sechs Sätze, der in seiner wilden Zerrissenheit und Zerklüftung wie von selbst die Assoziation mit einem Hochgebirge aufkommen läßt – mit einer Natur, die dem Menschen unbeherrscht und feindlich gegenüber tritt. In der 3.Sinfonie geht es aber letztlich um alle Aspekte von Natur; die (noch vor der Drucklegung zurückgezogenen) programmatischen Überschriften der sechs Sätze lauten: 1) Pan erwacht: der Sommer marschiert ein, 2) Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen, 3) Was mir die Tiere im Wald erzählen, 4) Was mir der Mensch erzählt, 5) Was mir die Engel erzählen, 6) Was mir die Liebe erzählt.

Der erste Satz ist nicht nur mit seinen ständig wechselnden Stimmungen – Dreiklangsmotive in den Flöten neben schärfsten Dissonanzen des gesamten Orchesters, Fanfaren von sämtlichen acht(!) Hörnern und feinstes Gespinn aus im Pianissimo tremolierenden Streichern, ein ständig präsentes Leitmotiv, das mit einem Sekund-Vorhalt zum Grundton endet, der aber nie erscheint, usf. – sondern auch durch seine schiere Länge von knapp 900 Takten und einer Dauer von mehr als einer halben Stunde letztlich der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Werks.

Der zweite Satz war im Wien des »Fin de siècle« ein echter Schlager, und wurde immer wieder herausgelöst aus dem Kontext von Nikisch u.a. aufgeführt – was kein Wunder ist, steht hier doch eine wunderhübsche kleine Melodie im Zentrum, die den Satz in ein »Lied ohne Worte« verwandelt. Mahler hat das mit gemischten Gefühlen gesehen – so sehr er gehört werden wollte, so sehr mißfiel es ihm gleichzeitig, daß man ihn „dem Publikum als `sinnigen´, duftigen `Sänger der Natur´ vorstellt” (Mahler in einem Brief; Carr, a.a.O).

Der dritte Satz ist ein Scherzo, das bedrohlich-verhuscht eine ganz andere, weit düstere Welt beschwört. Das Trio wird ersetzt durch einen langen, kaum enden wollenden Gesang von einem Posthorn, das aus „weiter Ferne” (gewöhnlich dadurch realisiert, daß man das Instrument hinter der Bühne spielen läßt) über ein paar wenigen Dur-Akkorden der Streicher erklingt.

Der vierte Satz ist der Gesang einer Alt-Stimme über einen Text von Nietzsche aus »Also sprach Zarathustra«: »O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht?«. Das ist ein ganz langsamer Gesang über viel tiefes Blech – das Eingangsmotiv war übrigens schon im ersten Satz aufgetaucht.

Danach kommt ein ganz kurzer, beschwingter (in der Partitur steht: „Lustig im Tempo und keck im Ausdruck”) und fast schon banaler Satz, in dem ein Knabenchor mit einem ständigen »Bimm-Bamm« Glocken imitiert, über die ein Frauenchor einen Wunderhorn-Text legt: »Es sungen drei Engel einen süssen Gesang«. Das ist sehr typisch für Mahlers Musik: wenn man vor Andacht und Bedeutung schon so tief in das Polster des Sessels im Konzertsaal gedrückt wird, daß man kaum noch Luft bekommt, fährt der Meister mit einer komplett unernsten Geste dazwischen – als wenn er auf den Hörer grinsend mit dem Finger zeigt und sagt: erwischt.

Das Finale schließlich ist ein für Mahler so typisches Adagio, das in allergrößter Ruhe einen fulminanten Bogen vom im pianissimo von den Streichern vorgetragenen Thema bis zu einem in der kompletten Besetzung bei größter Lautstärke spielenden Orchester schlägt: »Was die Liebe erzählt«.

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