22.1.2009

William Boyd - Eines Menschen Herz

Das Buch erfindet das Tagebuch eines gewissen Logan Mountstuart, der 1906 in Urugay geboren wird und noch im Schulalter mit dem Schreiben beginnt. Er greift immer dann zur Feder, wenn entscheidende Veränderungen geschehen - und das ist in seinem so bewegten Leben immer wieder der Fall.

Dabei gelangt er schon mit Anfang Zwanzig zu einigem Ruhm, als sein Buchdebüt zu einem Bestseller wird. Dadurch trifft er mit Berühmtheiten der englischen Literaturszene der Vorkriegszeit zusammen, lernt in Paris Hemingway kennen, treibt sich dort auch in der Kunstszene herum und ersteht billig einige Werke von unbekannten Malern - Paul Klee, Picasso.

Im Zweiten Weltkrieg ist er Commander für den Geheimdienst der Navy, wird bei einem Auftrag in der Schweiz enttarnt und verbringt zwei Jahre in Einzelhaft, in der er das Ende des Krieges glatt verpaßt.

Alt und völlig verarmt verstrickt er sich kurz in Aktionen britischer RAF-Sympathisanten, und landet schließlich in einem Dorf in Frankreich. Dort wird er mit der Vergangenheit seiner neuen Heimat konfrontiert, als das Andenken an einen Helden der Résistance in den Dreck gezogen wird, indem man eine Gedenktafel immer wieder schändet.

Kurz bevor er 1991 - 85-jährig - stirbt, beobachtet er eine Gruppe junger Menschen in einer Sommeridylle am Strand, die so alt sind wie er, als er mit dem Schreiben des Tagebuchs begann:

Und plötzlich frage ich mich, ob auch das zu meinem Unglück gehört, daß ich zu Beginn dieses Jahrhunderts geboren wurde und nun, da es sich dem Ende nähert, nicht mehr jung sein darf? Ich blicke neidisch auf diese Kinder, denke an das Leben, das sie führen und das ihnen noch bevorsteht, und entwerfe eine Art Zukunft für sie. [...]
Spielt weiter, Jungen und Mädchen, sagte ich, raucht und flirtet, sorgt euch um eure Bräune, plant eure abendlichen Vergnügungen. Ich aber frage mich, ob auch nur einer von euch ein so gutes Leben haben wird, wie ich es hatte.

Das Buch macht es nicht ganz leicht, ihm die Treue zu halten. Stellenweise nimmt Boyd die Aufgabe vielleicht ein wenig allzu ernst, den Ton des Tagebuchs zu treffen, und ergeht sich in Beschreibungen von sexuellen Phantasien und Selbstreflexionen eines überaus komplizierten Menschen. Das nimmt glücklicherweise niemals Überhand, weil der Trick, seinen Protagonisten nur dann schreiben zu lassen, wenn auch etwas passiert, den Text gewaltig strafft (die eher ereignislosen Zwischenzeiten werden von einem fiktiven Herausgeber gefüllt).

Gerade diese Innensicht, in der eben nicht nur die Handlung erzählt wird (und für deren Verständnis der „Herausgeber” sogar einige Fußnoten einstreuen muß), macht aber gleichzeitig auch die Faszination dieses Buchs aus:

David Gascoyne hat mir einmal gesagt, ein Tagebuch hat nur dann Sinn, wenn man sich auf das Persönliche konzentriert, auf die Kleinigkeiten des Alltags, und die großen und bedeutenden Ereignisse, die die Welt bewegen, vergißt. Das steht sowieso alles in der Zeitung, sagt er.

Nach einigem Hin und Her stellt sich dann heraus, daß er heute diese Regel doch brechen muß (wie er dies ohnehin ständig tut): die Tatsache, daß er zum Abendessen ein Käseomlett und eine Flasche Bier hatte, wird überschattet durch die Nachricht vom ersten Schritt Amstrongs auf dem Mond.

Im Zentrum des vergangen Jahrhunderts steht hier ein Menschenherz, das geboren wird, sich bildet, und schließlich verstummt (Mountstuart stirbt - wie kann es anders sein - an Herzversagen) - dies so wie letztlich all die anderen auch, nur dieses auf überaus exemplarische Art.

(Kommentarfunktion z.Zt. deaktiviert.)