In der Falle - Notizen zur Finanzmarktkrise

Vor einem halben Jahr noch hätte man die Ereignisse des heutigen Tages wohl als pure Phantasterei belächelt: der Staat übernimmt eine Sperrminorität von 25 Prozent plus einer Aktie von der Commerzbank - und die BILD-Zeitung hat den gleichen Aufmacher wie die Süddeutsche Zeitung (wobei laut BILD der Staat die Commerzbank schlicht „übernimmt“). Tatsächlich ist dies ein Ereignis, das einen weiteren Höhepunkt in der Entwicklung der Finanzmarktkrise markiert; nach dem Ende von Lehman Brothers am 15.9. des letzten Jahres könnte auch der 9.Januar 2009 einen Platz in den Geschichtsbüchern finden.

Richtig brisant wird das Eingreifen des Staates, weil es dabei nicht in erster Linie darum geht, eine Bank kurz vor dem Zusammenbruch aufzufangen, wie dies z.B. bei der Hypo Real Estate der Fall war. Vielmehr wird damit die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank abgesichert[1] – eine Fusion, die insbesondere von der Allianz herbeigesehnt wird, verderben die Zahlen der Dresdner doch schon seit Jahren ihre Bilanzen. Mit anderen Worten: hier wird die wirtschaftliche Gesamtsituation als Argumentationshilfe benutzt, um mit Mitteln des Steuerzahlers die „Deutschland-AG“ neu zu strukturieren (die Rede von der Sperrminorität wirft dabei übrigens auch bloß Nebel, weil diese spätestens nach gelungener Fusion verloren geht).

Angesichts dieses Großereignisses geraten Entwicklungen in den Hintergrund, die in anderen Zeiten als Aufmacher auf der ersten Zeitungsseite gelandet wären; ich nenne zwei Beispiele, eines aus der ganz großen Perspektive, das andere aus jener der sog. „kleinen Leute“.

Die Mittel, mit denen z.Zt. versucht wird, der Finanzmarktkrise entgegen zu wirken, bereiten die nächste Krise bereits vor – die dann freilich mit einem noch schärfer gespannten Hebel loszubrechen droht: die Hilfen für Banken und Industrie werden ja nicht aus der Portokasse bezahlt, sondern müssen über massive Neuverschuldungen finanziert werden.

Das läuft letztlich darauf hinaus, daß die Staaten ihre Notenpressen anwerfen.

Die USA haben bereits 10,7 Billionen Dollar Schulden[1] angehäuft, verursacht u.a. durch die beiden Kriege der Bush-Administration, aber auch durch Steuergeschenke gigantischen Ausmaßes an Großindustrie und Spitzenverdiener. Hinzu kommen jetzt die 700 Milliarden Dollar, die als Hilfe für Ausfälle an der Wallstreet vorgesehen sind - und das Konjunkturprogramm, das die Mannschaft des designierten neuen US-Präsidenten gerade vorbereitet, wird weitere Mittel in der Größenordnung von dreistelligen Milliardenbeträgen verschlingen. Diese Summen sind nicht dazu geeignet, die Kapitalanlage in US-Staatsanleihen ratsam erscheinen zu lassen – wenn z.B. die Chinesen ihre momentane Begeisterung für Anlagen in Dollar allmählich verlieren sollten, dürfte es angesichts der momentanen Zins-Tiefststände außerordentlich schwierig werden, eine Deflation zu vermeiden.

Die zweite Geschichte[1] spielt in der deutschen Provinz. Im Jahr 2005 begann die GMAC-RFC-Bank (eine Tochter von General Motors), auch in Deutschland Hypothekenkredite ohne Sicherheit anzubieten: jeder, der wollte, konnte einen Kredit über 110 (!) Prozent des Hypothekenwerts aufnehmen, sofern diese Summe das Neunfache des Nettoeinkommens nicht überschritt. Das ist exakt das Modell, das momentan in den USA so überaus effektvoll zusammenbricht: statt auf 20% Eigenkapital zu bestehen, wie dies in Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt Usus war, bekam man mit den 110% die Aufforderung, sich auf Pump auch noch eine Küche oder eine neue Wohnzimmergarnitur anzuschaffen.

Bei einem Nettoeinkommen von 2000 Euro konnte man also einen Kredit über ca. 220.000 Euro bekommen. Bei einem theoretischen (schon sehr niedrig veranschlagten) Zinssatz von 5% wären das ca. 900 Euro Zinsen, die ein solcher Haushalt jeden Monat aufbringen muß - fast die Hälfte des Einkommens also, und darin ist noch kein Cent Tilgung enthalten. Wenn das Einkommen aufgrund von Arbeitslosigkeit auch nur kurzzeitig wegbricht, hat man ein ernstes Problem; ebenso, wenn man nach 10 Jahren eine Anschlußfinanzierung braucht, und die Zinsen gestiegen sind.

Dies gilt umso mehr, wenn 1.) die Forderungen der Bank weiterverkauft, dann gestückelt und in Form von Wertpapieren nochmals weitergereicht wurden, so daß es niemanden mehr gibt, mit dem man verhandeln könnte, wenn man mit den Ratenzahlungen in Verzug gerät; und wenn 2.) die Bank (die GMAC-RFC in diesem Fall) ihre Zulassung verliert, so daß allen anderen Banken klar wird, daß dieses Finanzierungsmodell unseriös ist und nicht weitergeführt werden kann.

Beides ist geschehen; man schätzt 12.000 bis 15.000 Darlehensnehmer (die zudem häufig noch auf Schrottimmobilien hereingefallen sind), die in der Falle stecken, und früher oder später vor der Zwangsversteigerung stehen dürften.

  1. [1] Quelle: SZ von heute.