25.12.2008

Peter Watson - Ideen

Am Anfang der Menschheitsgeschichte steht das Feuer; daneben gibt es aber eine Erfindung, die man gerne vergißt, die aber ebenso wichtig ist, wenn es um die Ausbreitung der Gattung in kältere Regionen geht: die Bekleidung. Man hat hier keine archäologischen Funde, anhand derer sich das Aufkommen der ersten Kleidung bestimmen läßt - könnte man diesen Zeitpunkt benennen, hätte man gleichzeitig einen Anhaltspunkt für die Entstehung der Nadel - einem schon recht spezialisierten Werkzeug -, und damit ein nicht unwichtiges Steinchen für die Geschichte der Hominisation.

Im Jahr 2004 stellten Biologen des Max-Planck-Instituts für Evolutionsanthropologie in Leipzig (...) fest, dass sich Körperläuse von Kopfläusen unterscheiden, worauf Mark Stoneking und seine Kollegen folgerten, dass sich Körperläuse wahrscheinlich aus Kopfläusen entwickelten, sobald ihnen eine eigene Nische - nämlich Bekleidung - zur Verfügung stand. Den Beginn dieser Entwicklung setzten sie anhand der genetischen Mutationsrate ungefähr im Jahr 75.000 BP an.

(Peter Watson: Ideen. München 2008. S.87)

In dieser Geschichte findet man ein schönes Anschauungsbeispiel für die Entstehung von Wissen, an dem man sich klar machen kann, in welch drastischer Form sich unsere Kenntnis der Welt von jener vergangener Generationen unterscheidet. Noch in der Mitte des 19.Jh waren die Geologen damit beschäftigt, Hinweise zu suchen, die die biblische Erzählung von der Genesis bestätigen - man nahm damals an, daß die Welt vier- bis sechstausend Jahre vor Christi Geburt erschaffen wurde. Es war kein geringer Schock, als Beweise dafür auftauchten, daß man sich da ein wenig verrechnet hatte - und das war nur der Anfang in einer Serie von Entdeckungen, die die Weltsicht nachhaltig veränderten.

Auch in unseren Tagen entstehen immer wieder neue Einsichten, die unwiderlegbar scheinende Weltbilder erschüttern. Das bekannteste Beispiel ist die Verbreitung von Quantenphysik und Relativitätstheorie im allgemeinen Bewußtsein. Noch für die Generation meines Vaters waren diese Theorien lediglich einem kleinen Kreis von Physikern verständlich - unter den Intellektuellen verstand man unter Physik jene Newtons, und das Universum wurde als unendlich und ewig gedacht. Für Menschen, die in solchen Denktraditionen aufgewachsen sind, wirkt die Debatte über gekrümmten Raum und ein gerade mal 13 Milliarden Jahre altes Universum wie wilde Spekulation, fast wie eine theologische Debatte, in der es um Glaubensdinge geht.

Um auf das Zitat von Peter Watson zurückzukommen: momentan scheint sich ein (mich) verblüffender Wandel im Verständnis der prähistorischen Anfänge des Homo sapiens abzuzeichnen. Neue Funde und aktuelle Interpretationen der Höhlenmalerei legen den Schluß nahe, daß die ersten Theologien die Frau zum Gott erhoben - eine These, die bislang allenfalls aus radikal feministischen Kreisen zu hören war. Tatsächlich muß für die frühen Menschen die Fruchtbarkeit der Frau ein unerklärliches Mysterium gewesen sein, weil sie es noch nicht mit dem sexuellen Akt in Verbindung brachten. - Wie gesagt: das sind keine wilden Spekulationen, sondern derzeitiger Stand der Forschung.

(Ich werde auf das Buch von Watson noch zurückkommen - spätestens, wenn ich es zu Ende gelesen habe, wobei ich erst 200 von den 1200 Seiten hinter mir habe.)

Nachtrag: Hier gehts weiter.

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