21.12.2008

David Lynch - Inland Empire

Regie, Buch, Kamera, Schnitt: David Lynch
Darsteller: Laura Dern, Justin Theroux, Jeremy Irons
Musik: Krzysztof Penderecki u.a.

Ziemlich am Anfang sieht man ein Closeup auf ein tränenüberströmtes Frauengesicht, das anscheinend durch ein Fenster oder im Fernsehen einer Gruppe von drei Leuten in seltsamen Hasenkostümen dabei zusieht, wie diese, von langen Pausen unterbrochenen, völlig sinnlose Sätze zueinander sagen - wobei nach einem jener Sätze unvermittelt Gelächter eingeblendet wird, als ob man es mit einer Comedy-Show zu tun hat. Es geht weiter mit einer älteren Dame, die mit osteuropäischem Akzent Laura Dern erklärt, daß alles anders wäre, wenn heute schon morgen und gestern erst heute sei (oder so ähnlich).

Schließlich setzt etwas wie eine zusammenhängende Story ein: Laura Dern ist die Schaupielerin Susan, die den Zuschlag für eine Filmrolle bekommt. Man erfährt, daß ihr Partner Devon (Justin Theroux) ein ziemlicher Schürzenjäger ist, was Probleme insofern mit sich zu bringen verspricht, als Susan mit einem Polen verheiratet ist, der es mit der ehelichen Treue sehr genau nimmt. Susan verliebt sich natürlich trotzdem prompt in Devon. Dasselbe Szenarium ist aber Hintergrund des Films, der gerade gedreht wird - auch dort geht es um eine unmögliche und verbotene Romanze.

Irgendwann schließlich ist der Gleichtakt zwischen der Handlung im Film und dem Geschehen am Set an einem Punkt angekommen, wo sich Wirklichkeit und Fiktion für Susan immer mehr verwirren. In einer Szene beschwört sie Devon, unbedingt aufzupassen, daß ihr Mann nichts von ihrer Affäre mitbekomme, denn der würde sie beide auf der Stelle töten. Sie unterbricht sich lachend selber mit den Worten, sie würde sich ja bereits so anhören wie die Rolle der Kikki, die sie im Film spielt - worauf jemand "Cut" ruft, eine Kamera sichtbar wird und der Regisseur verwundert fragt, was denn dieser merkwürdige Ausbruch zu bedeuten habe. Das steigert sich immer weiter, das zeitliche Kontinuum gerät irgendwann auch noch aus den Fugen, bevor eine neue Ebene nach der anderen hinzukommt - auch die Hasen spielen noch eine Rolle.

Bei jedem anderen Film hätte ich jetzt bereits derart viele Spoiler angebracht, daß man die komplette Ideenwelt schon kennt und den Film kaum noch anzuschauen braucht - das ist hier nicht der Fall, ich habe ein paar Hinweise allenfalls auf das erste Drittel gegeben. Die unglaubliche Anzahl von teilweise völlig bizarren Bildern, Handlungsschritten und -ebenen ist man bei David Lynch ja schon gewohnt - hier übertrifft er sich aber selber, und zwar um Längen. Schon "Mulholland Drive" ist nicht ganz ohne Komplexität - das wird hier mühelos verdoppelt.

Kameraführung und - vor allem - die Sets sind wiederum typisch für Lynch - es wird viel mit Farbcodes gearbeitet, klare rote, grüne oder gelbe Farben bestimmen längere Einstellungen. Streckenweise wird mit der Handkamera gearbeitet, was stark zu überaus statisch fotografierten Szenen kontrastiert. In den Dialogen wird stellenweise sehr dicht auf die Gesichter gezoomt, so daß Kinn oder Nase ins Groteske verzerrt werden. Herauszuheben wäre noch die schauspielerische Leistung von Laura Dern: sie ist nicht nur in der Lage, Angst und Schrecken glaubhaft herüber zu bekommen und auf Kommando zu weinen (das scheint mittlerweile zum Standardrepertoire aller weiblichen Schauspieler in Hollywood zu gehören), sondern sie kann völlig unterschiedliche Frauentypen mit gänzlich verschiedener Mimik spielen.

Ich bin ein großer Fan von David Lynchs Filmen - insofern bin ich in meinem Urteil positiv voreingenommen. Aber "Inland Empire" ist selbst für die Standards, die Lynch gesetzt hat, ungewöhnlich. Ich habe mich jedenfalls in den fast drei Stunden keine Sekunde gelangweilt, oder hatte je das Gefühl, daß irgendeine Szene überflüssig ist. Das gibt glatte zehn von zehn möglichen Punkten. Großartig.

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