17.12.2008

Musikproduktion am Computer (10)

(Themenanfang)

Richard Wagner hat seine Opern in drei Schritten entwickelt: am Anfang stand die eigentliche Komposition, wobei er immer ein Klavier (genauer: einen Flügel von höchster Qualität) neben sich stehen hatte (das ist bemerkenswert u.a. deshalb, weil Beethoven seine vielleicht bedeutendsten Werke schrieb, als er taub war). Dabei hat er nur die Gesangsstimmen in einzelnen Systemen notiert; das Orchester war zunächst auf ein Klaviersystem beschränkt. Zwar gab es schon Anmerkungen und Ideen für die Orchestrierung - die fand aber erst in einem zweiten Schritt, bei der Niederschrift eines Particells statt, in dem die einzelnen Instrumentengruppen auf je ein Klaviersystem beschränkt waren, und in denen allenfalls Notizen zu den konkreten Instrumenten auftauchten. Erst im letzten Schritt wurde die komplette Partitur erstellt - Wagner hat behauptet, daß dies eine Arbeit sei, die sich automatisch aus dem Particell ergebe, hat aber nie jemanden gefunden, der ihm diese Arbeit abgenommen hätte (da es Notenpapier mit der - zu seiner Zeit unvorstellbaren - Anzahl von Systemen, wie er sie benötigte, nicht zu kaufen gab, mußte er die Notenlinien selber auf ein leeres Blatt zeichnen; trotz eines langen Arbeitstages hat er selten mehr als eine Partiturseite pro Tag geschafft - der "Tristan" hat ihn fünf Jahre beschäftigt, davon allein ein Jahr beim "Malen" der Partitur).

In den Anfängen der Komposition am Computer hatte man es mit "Patterns" zu tun - Einheiten von einer bestimmten Länge (gerade ein bis zwei Takte in den frühen analogen Sequenzern), in denen alle Spuren (Instrumente) definiert waren, und die man hinterher zu einem "Song" zusammenbasteln konnte. Die Beschränkung auf MIDI hinzugenommen, führte dies dazu, daß man dieses Pattern ständig im Kreis ("Loop") spielen ließ, und einen Sound nach dem anderen hinzufügte. Waren bei Wagner "Komposition" und "Instrumentation" klar voneinander getrennte Schritte, vermischen diese beiden Aspekte sich zunehmend - mehr noch: auch die Aufführung eines Werks findet zunehmend gleichzeitig statt, wenn am Computer auch das Endresultat "abgemischt" wird.

Wenn man ein Pattern fertiggestellt hat, kann es leicht passieren, daß man durch den Gesamteindruck des ersten Teils nicht mehr in jene eher abstrakte Schicht zurückfindet, mit der man z.B. eine Akkordfolge am Klavier sucht - man hat eine perfekte Strophe, findet aber partout keinen dazu gehörigen Refrain - immer vorausgesetzt, daß man immer noch in letztlich klassischen Formverläufen denkt und z.B. etwas wie "Songwriting" betreibt. Immer mehr aber macht sich das Produktionsverfahren selbstständig und schleicht sich in die Musik selber ein: Loop-basierte Musik ist definitiv eine Erfindung der Computermusiker, die es - zumindest in dieser auf ein oder zwei Takte beschränkten Kleingliedrigkeit - zuvor nicht gegeben hat. Es liegt ganz einfach nahe, (komplexe) Patterns zu kopieren und danach die Kopie zu editieren, statt für eine Fortsetzung wieder mit einem komplett leeren Pattern zu beginnen - zumal das Verfahren sich schon in den Ohren festgesetzt hatte, weil auf den analogen Sequenzern gar nichts anderes zu haben war.

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