7.12.2008

Qualität und Musik (2)

Wenn man die Qualität von Musik am Grad messen will, in der sie sich auf der Höhe des musikalischen Materials ihrer Zeit befindet, wird man spätestens in der Beurteilung von Popmusik scheitern. - Damit nicht genug: auch den Übergang des Barock in die Wiener Klassik Mitte des 18.Jh bekommt man so nicht erklärt; von der Entwicklung der zeitgenössischen Musik nach dem Zweiten Weltkrieg erst recht zu schweigen. In beiden Fällen findet letztlich ein großer Rückschritt in der Komplexität des musikalischen Materials statt (was näher auszuführen wäre).

Wenn technische Kriterien nicht ausreichen, um ein Urteil abzugeben, könnte man versucht sein, sich letztlich auf das Kriterium des „Gefallens” oder des subjektiven Geschmacks zurückzuziehen - wo man keine objektiven Tatbestände benennen kann, scheint nur noch radikale Subjektivität übrig zu bleiben. Ich glaube aber nicht, daß man diese Abkürzung nehmen muß, selbst wenn man die Bedeutung der objektiven Analyse der musikalischen Sprache relativiert.

Um das deutlich zu sagen: ich bezweifele den Sinn von technischer Analyse an keiner Stelle, im Gegenteil: ich halte sie für jede wertende Aussage über Musik für unverzichtbar. Meine These lautet vielmehr, daß solche Analyse zwangsläufig zu kurz greift, wenn es um ein Urteil über Ästhetik geht - man verpaßt dann nämlich den Erlebnischarakter, den jede Musik hat. Musik ist nicht nur (aber auch!) abstrakte Struktur, sondern auch konkreter, lebendiger Klang.

Kürzlich habe ich meine akustische Gitarre mit neuen Saiten versehen - die alten hielten die Stimmung nicht mehr, ich hatte allerdings nur 10er-Saiten zur Hand, die eigentlich nur auf die E-Gitarre gehören. Nach relativ kurzer Zeit habe ich das Instrument wieder zurückgestellt, mit dem Gefühl, daß da etwas fehlt (ich habe das auf meine mangelnde Spielpraxis zurückgeführt). Nachdem ich gestern einen Satz (dickerer) 12er aufgezogen habe, halte ich ein komplett anderes Instrument in der Hand, und wundere mich nicht mehr, warum mich bestimmte Akkorde in speziellen Lagen (Voicings) früher so begeistern konnten. Mein Spiel ist keinen deut besser geworden, aber es gibt plötzlich eine Ebene, auf der mich auch meine eher unbeholfenen Versuche faszinieren - leere Saiten, richtig gestimmt, klingen in bestimmten Zusammenhängen ganz grandios.

Die Qualität von gesampelten Naturinstrumenten hat, zusammen mit drastisch gefallenen Preisen für Speicherplatz, in den letzten zehn Jahren enorm zugelegt. Das Klavier, der akustische Baß und das Schlagzeug, das ich momentan in Cubase als Grundlage für meine Kompositionsversuche benutze, ist - richtig gespielt - letztlich nicht mehr von gut mikrophonierten Originalinstrumenten unterscheidbar - wie auch, schließlich sind diese Samples gut aufgenommene Originale, und zwar in voller Länge, und nicht, wie früher üblich, durch zahllose Tricks so bearbeitet, daß sie in den damals teuren Speicher passen. - Mit solchem Instrumentarium kann ich einfachste Akkordfolgen zusammenbauen, die ich mir wieder und wieder anhören kann, ohne daß sie mich langweilen.

Ich glaube, daß man es auch im Gebiet der Musikästhetik letztlich mit Evidenzerfahrungen zu tun hat - derselben Ebene von Erfahrung also, die auch einen Klavierspieler in die Lage versetzt, eine verstandesmäßig nicht beschreibbare Feinmotorik einzusetzten, und die es einem Motorradfahrer erlaubt, auf letzter Rille durch die Kurve zu fahren (auch diese These wäre näher auszuführen).

(Kommentarfunktion z.Zt. deaktiviert.)