24.11.2008

Der Weg in die Musik der Moderne (6)

(Themenanfang)

Ein Beispiel für die Bedeutung von Musik für das Leben um die Jahrhundertwende bieten die Vorgänge um die Berufung Gustav Mahlers zum Direktor der Hofoper in Wien (1897). Was heutzutage von eher untergeordneten Behörden entschieden wird, war damals ein Politikum ersten Ranges. Auf Mahlers Judentum abzielend, gab es eine großangelegte Kampagne, die diese Berufung verhindern wollte, angeführt von Cosima Wagner höchstpersönlich. Erst als Mahler zum Katholizismus konvertierte, konnte die Personalie durchsetzt werden - wobei sich noch der Kaiser selbst einschalten mußte.

Ein wichtiger Mosaikstein aus soziologischer Sicht ist die noch weitgehend ungebrochene Einheit von U- und E-Musik. Zwar kann man, anders als zu Mozarts Zeiten, deutliche Unterschiede in der Qualität von Gebrauchs- und Kunstmusik erkennen. Tatsächlich beginnt sich die Schere schon in der Mitte des 19.Jh zu öffnen, als die kammermusikalischen Werke immer anspruchsvoller werden, und schon in technischer Hinsicht von Laien kaum noch zu meistern sind: es entsteht das Genre der Salonmusik, einfache Stücke ohne größeren Anspruch sowohl in aufführungspraktischer wie auch in ästhetischer Hinsicht, für den täglichen Gebrauch geschrieben, und heute meistens vergessen. - Andererseits sind die Lieder von Schubert und Brahms als „Volkslieder” in den Alltagsgebrauch eingesickert, als „Popmusik” einer Zeit, in der die Musiker zu einem gewissen Teil noch Handwerker waren, und nicht dem permanenten Wandel der Mode zu folgen hatten. - Um dem eine weitere dialektische Wendung zu geben: seinerzeit galt das Werk Chopins als Salonmusik.

Dennoch halten die beiden Welten weitgehend zusammen. Ein Johann Strauß führt bei seinen Konzerten nicht nur die eigenen Walzer auf, sondern präsentiert mit großer Selbstverständlichkeit auch einen Ausschnitt aus einer Mahler-Sinfonie; und Richard Strauss, der mit der „Salome” 1909 eine Oper vorlegt, die definitiv zur Avantgarde zu zählen ist, verdient mit eben dieser Oper genug Geld, um fortan den Lebensstil eines reichen Mannes zu führen. Kommerz und künstlerischer Anspruch konnten noch lange Hand in Hand gehen. Daran ändert wenig, daß ausgerechnet der aus heutiger Sicht wichtigste Protagonist jener Jahre - Arnold Schönberg - hart am Existenzminimum lebte und sich mit Unterricht und Instrumentierungen für die Operette nur knapp über Wasser hielt.

Alle bislang aufgeführten Namen haben eins gemeinsam: den Ort, wo sie wirkten - die Hauptstadt von Österreich-Ungarn, der kaiserlich und königlichen Doppelmonarchie der Habsburger: Wien. Nach allem, was ich weiß, muß dies zu jener Zeit der faszinierendste Ort der Welt gewesen sein - ebenso farbig und überbordend wie zuvor das Florenz der Medici, oder vielleicht das New York unserer Tage. Den alternden Kaiser Franz-Joseph trifft man man hier neben dem heranwachsenden Adolf Hitler; Klimt, Kokoschka - und wie sie alle heißen - versammeln sich hier in einer der fruchtbarsten Zeiten für die bildende Kunst überhaupt; Grophius und das Bauhaus haben hier ihre Heimat. Dazwischen aber und damit vermischt entstehen Sinfonien und Opern, die einsame, nie zuvor und nie wieder danach erreichte Höhepunkte in der Musik des Abendlandes markieren. (Alma Mahlers Tagesbücher der Jahre 1898-1902 lesen sich wie ein Kaleidoskop des Orts zu jener Zeit.)

(Kommentarfunktion z.Zt. deaktiviert.)