23.11.2008

Der Weg in die Musik der Moderne (5)

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Der Einfluß, den das Werk Richard Wagners auf die Musik des Fin de siècle genommen hat, kann man kaum überschätzen. Das gesamte - unendlich reiche - Opernschaffen jener Jahre ist völlig undenkbar ohne ihn, und auch in der Symphonik eines Gustav Mahler hinterläßt er unübersehbare Spuren. Dabei ist es nicht nur Wagners erweitertes Verständnis der Tonalität, das hier eine Rolle spielt; auch die Klangfarben des spätromantischen Orchesters kann man auf ihn zurückführen[1]. Hinzu kommt eine Allgegenwart des Leitmotives zur Bildung von musikalischen Formen; der Gedanke, daß das Orchester zu mehr taugt, als nur die Sänger zu begleiten, sondern zum selbstständigen Protagonisten werden kann, der die Handlung auf der Bühne bis auf eine tiefenpsychologische Ebene deutet und kommentiert, wird selbstverständliches Allgemeingut im kompositorischen Werkzeugkasten.

Daneben darf man allerdings nicht vergessen, daß nach Wagners Tod für mehr als eine Dekade der berühmteste lebende Komponist seiner Zeit jemand war, den man gern als Antipoden beschreibt: Johannes Brahms. Brahms Musik stellt tatsächlich in mehr als einer Hinsicht einen Kontrast dar: das ist hauptsächlich Kammermusik, und nicht nur vom klanglichen Gestus her eben nicht für die große Bühne und zur Überwältigung des Zuhörers geschrieben, sondern rückwärts gewandt, mit Blick auf die klassischen Vorbilder. Das soll keinesfalls heißen, daß Brahms rückschrittlich sei - das Gegenteil ist der Fall, wie kein anderer als Arnold Schönberg in einem berühmten Aufsatz[2] nachweist. Brahms Technik der ständigen Variation kleinster musikalischer Bausteine zu großen formalen Gebilden ist für das Fortschreiten der kompositorischen Werkzeuge bis in die Zwölftontechnik von entscheidender Bedeutung.

Die Musik in jener Zeit findet aber nicht im Elfenbeinturm statt, zu dem allenfalls wenige Genies Zugang hatten, im Gegenteil: ihr Entstehen erklärt sich nicht zuletzt aus den sozialen Verhältnissen, in denen sie entstand. Zunächst - und das ist eine derart banale Tatsache, daß man sie gerne übersieht - gab es zu jener Zeit keine Plattenspieler. Wenn man Musik hören wollte, mußte man sie selber machen, oder sich an einen Ort begeben, wo dies andere taten.

Das hat zunächst drei Konsequenzen: zum einen gehörte es zum Bildungkanon der gehobenen gesellschaftlichen Schichten, daß ein Instrument bzw. das Singen gelernt wurde. Das galt besonders für die Ausbildung der Frauen: damit eine künftige Ehefrau und Mutter einen angemessenen Haushalt leiten konnte, mußte sie nicht nur z.B. nähen können, sondern auch das Klavierspiel beherrschen. - Zum zweiten kam dem häuslichen Musizieren eine große Bedeutung zu, und zwar sowohl im privaten Raum, wie auch in der Halböffentlichkeit der Salons. - Zum dritten waren Konzertsaal und Opernhaus von einer mit heutigen Verhältnissen nicht annähernd vergleichbaren gesellschaftlichen Bedeutung. Die Uraufführung einer neuen Oper etwa war ein Ereignis allerersten Ranges, bei der jeder zu erscheinen hatte, der im gesellschaftlichen Leben eine gewisse Rolle spielen wollte.

  1. [1] Man muß dabei allerdings berücksichtigen, daß Wagner hier letztlich auf Ideen zurückgreifen kann, die Hector Berlioz schon in den (18)30er Jahren entwickelte.
  2. [2] Brahms, der Fortschrittliche.
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