31.8.2008

Muriel Barbery - Die Eleganz des Igels

Barbery erzählt aus den Ich-Perspektiven (ungewohner Plural) zweier Frauen, die sich in der Welt gar nicht ferner stehen könnten, und sich trotzdem in jenem Punkt berühren, auf den allein es ankommt.

Da ist einmal Reneé - eine ältliche, äußerlich unscheinbare, ja ungepflegte Concierge in einem eleganten Mehrfamilienhaus, wo einige Familien aus der Elite der französischen Gesellschaft in vierhundert Quadratmeter großen Wohnungen ihr Leben führen. Sie ist für ihre dem äußeren Schein aufsitzende Umwelt unsichtbar, und niemand würde im Traum darauf kommen, daß sie Kant gelesen hat und liebt, während sie bei der Lektüre Husserls fast verzweifelt, bevor ihr klar wird, daß dessen Philosophie nichts ist als ein akademischer Betrug.

Die zweite Figur ist die zwölfjährige Paloma, die von den Bewohnern desselben Hauses ebenso ungesehen bleibt - wobei ihre Perspektive eine andere ist, handelt es sich doch um die ihrer eigenen Familie. Sie hat sich vorgenommen, ihrer inneren Leere zu entkommen, indem sie sie zunächst schreibend analysiert (diese Versuche bekommen wir zu lesen), um sich, pünktlich an ihrem dreizehnten Geburtstag, umzubringen.

Man ahnt schon zu Beginn, daß sich diese beiden Gestalten aus dem Kokon ihrer Einsamkeit winden und zueinander finden werden - dazu bedarf es jedoch eines Katalysators, und das ist, wie kann es anders sein, ein Mann, in diesem Fall ein europäisch inspirierter Japaner, der mit seinem Erscheinen nicht nur die beiden Erzählerinnen, sondern das ganze Haus verwirbelt und vermischt.

Ich mag das Buch; es hat einen ganz warmen Humor, und in dessen Licht getaucht erträgt man den Vortrag manch bitterer Wahrheit. Man muß sich darauf einlassen, daß hier kein Geschehen, sondern ein Nachdenken erzählt wird - dann kann man mitschwimmen in einem Fluß, der eben kein philosophischer Vortrag, sondern eine Erzählung über den Prozeß des Erkennens ist.

(Reneé:)

Bei dieser Gelegenheit komme ich zu einer interessanten Unterhaltung mit Solange Josse.
Man wird sich daran erinnern, daß ich für die Hausbewohner eine geistig beschränkte Concierge bin, die sich am verschwommenen Rand ihres ätherischen Blickfeldes bewegt. In dieser Beziehung bildet Solange Josse keine Ausnahme, doch da sie mit einem sozialistischen Parlamentarier verheiratet ist, unternimmt sie zumindest Anstrengungen.
"Guten Tag", sagt sie, als sie die Tür öffnet und den Umschlag entgegen nimmt, den ich ihr überreiche.
Soviel zu den Anstrengungen.

(Paloma:)

Was schön ist, erhaschen wir, während es vergeht. Es zeigt sich in der vergänglichen Gestalt der Dinge in dem Moment, da wir gleichzeitig ihre Schönheit und ihren Tod sehen.
Oh, weh!, habe ich mir gesagt, heißt das, daß man sein Leben auf diese Weise führen sollte? Immer im Gleichgewicht zwischen der Schönheit und dem Tod, der Bewegung und ihrer Auflösung?
Vielleicht heißt lebendig sein das: Augenblicke zu verfolgen, die sterben.

Was mir weniger gefallen hat, ist Barberys arg verkürzte und irgendwie uninspiriert wirkende Darstellung von Kants Idealismus; was ich völlig unpassend finde (auch, wenn die Logik hier auf der Hand liegt), ist der Schluß.

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