26.8.2008

160%

Bei Marc findet sich heute ein Bericht über einen Unfall, bei dem ein einundzwanzigjähriger Motorradfahrer zu Tode kam. Er fuhr, mutmaßlich mit überhöhter Geschwindigkeit, auf einer Landstraße mit Tempo-70-Beschränkung, und wurde von der Fahrerin eines Kleinwagens übersehen, die von einer Nebenstraße einbog. Er ist mit derartiger Wucht in der Beifahrerseite eingeschlagen, daß sich das Auto überschlug.

Auch die Lokalpresse berichtet - mit ausführlicher Fotostrecke zum Hochtreiben der Page-Impressions zwecks Angeberei vor den Anzeigenkunden, und der Möglichkeit, sich in den Kommentaren hitzig über die Schuldfrage zu fetzen, und zwar vor den Augen der mitlesenden Angehörigen des Toten. Dazu wäre einiges zu sagen - ich verzichte.

Die verunglückte Maschine ist eine Kawasaki ZXR - den Fotos nach könnte es sich um eine ZX-6 handeln, einen Supersportler mit 120PS, wie er auch in meiner Garage steht. Nun kann mir keiner, der solch ein Bike besitzt, erzählen, daß er sich immer brav an jede Geschwindigkeitsbeschränkung hält, und richtig Gas nur frühmorgens auf Autobahnpassagen gibt, wo dies in unserer verrückten Republik sogar erlaubt ist: jeder Rennsport-Verliebte dreht zumindest gelegentlich mindestens den zweiten Gang auf der Landstraße aus - und ist dann bei ca. 160km/h. Das ist ungefähr so verrückt, als wenn man innerorts mit 80 Sachen unterwegs ist, oder in der Tempo-30-Zone mit 50 (das sind, in allen drei Fällen, 160% des Erlaubten).

Letztere Verrücktheit ist weit verbreitet - Geschwindigkeitsmessungen der Polizei in verkehrsberuhigten Zonen oder in Ortschaften ergeben regelmäßig reiche Ausbeute für Bußgeld und Führerscheinentzug (dagegen hilft übrigens regelmäßig Radio zu hören, denn da wird man vor "Flitzerblitzern" (FFN) gewarnt, daß es eine Freude ist: man muß dann nur kurz mit dem Fuß vom Gas).

Angesichts dieser Form der Bigotterie kann ich mich besonders deshalb in Rage reden, weil der Motorradraser auf der Landstraße in erster Linie sich selber in Gefahr bringt, der Temposünder im Wohngebiet jedoch in einem Auto mit sieben Airbags und einer Knautschzone von mindestens einem Meter unterwegs ist. Dazu kommt: wenn man Tempo 30 fährt, statt gedankenloser 50, ist man bei einer Vollbremsung dort am Stehen, wo man bei 20km/h mehr überhaupt erst mit Bremsen beginnt, sprich: mit ungebremsten fünfzig Sachen in das Kind hineinknallt! - Das ist ein Zusammenhang, den keiner von den Autorasern vor dem Kindergarten auch nur ahnt, denn so zynisch, ihn zu kennen und trotzdem zu ignorieren, kann kein Mensch sein.

Eigentlich wollte ich auf einen ganz anderen Punkt hinaus (dies hier sollte ein Exkurs zum Körperwissen-Diskurs werden).

Nachtrag: Es gibt einen Ergänzung zum Text oben.

(Kommentarfunktion z.Zt. deaktiviert.)