Robert Charles Wilson - Spin

Als der elfjährige Tyler mit seinen Freunden eines Nachts den Abendhimmel beobachtet, verschwinden von einem Moment zum anderen die Sterne - der Himmel ist plötzlich eine schwarze Barriere, durch die kein Licht mehr dringt. Die Satelliten in der Erdumlaufbahn hören auf zu funktionieren, und alle Versuche, Beobachtungssatelliten ins Weltall zu schießen, enden damit, daß diese wie von einer Gummiwand abprallen und unverzüglich zurückkehren. Seltsamerweise bringen sie Aufzeichnungen mit, die dokumentieren, daß sie Stunden, Tage oder Wochen im Raum unterwegs waren.

Das Ausgangsszenarium des Buchs ist derart absurd, daß man sich kaum vorstellen kann, wie ein ernsthafter SF-Autor das glaubwürdig aufdröseln will. Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, daß Wilson dieses Kunststück souverän gelingt - vorher vergehen aber mehr als fünfhundert Seiten, die die Verblüffung zunächst nur immer mehr steigern.

Dabei ist dies keine "technische" Science Fiction, in der es allein um Spekulationen über technische Entwicklungen in der Zukunft geht. Vielmehr werden die Konsequenzen des Szenarios in alle erdenklichen Winkel ausgeleuchtet: es kommt zum Kollaps der weltweiten Kommunikation, Telecom-Firmen gehen Konkurs, um gegen Alternativen ausgetauscht zu werden; es entstehen neue religiöse Bewegungen, ein völlig neues Feld der wissenschaftlichen Forschung, und neue Probleme im Spiel der politischen Kräfte. - In der Konsequenz, in der all diese Implikationen für eine radikal verwandelte Welt ausgesponnen werden, ähnelt Wilson dem überragenden Vernor Vinge.

Die größte Stärke Wilsons ist jedoch seine Fähigkeit, jede seiner Figuren als eigenständige Persönlichkeit nicht nur vorzustellen, sondern auch über einen langen Zeitraum - nämlich mit der Pubertät beginnend über dreißig Jahre - plausibel zu entwickeln. So paradox das ist: im Kern ist der Roman eine wunderschöne, leise melancholische Geschichte über eine unerfüllte Liebe.

Wer sich immer noch gegen die Meinung zur Wehr setzen muß, Science Fiction könne nur Schund[1] sein, findet hier einen glänzenden, unwiderlegbaren Gegenbeweis.

  1. [1] Bei Agitpop - der sich leider z.Z. in einem längeren Winterschlaf befindet - gibt es einen (zu) langen, aber lesenswerten Grundsatzartikel zum Thema.