28.4.2008

Jürgen Todenhöfer - Warum tötest du, Said?

Ich erinnere mich an den Jürgen Todenhöfer der achtziger Jahre: ein gnadenloser Kommunistenfresser, dem der Traum vom Sozialismus und die realen Verhältnisse in der DDR ein und dasselbe war. Auch heute kann man ihm kaum Antiamerikanismus vorwerfen. Umso bemerkenswerten ist sein Bericht von seiner Reise in den Irak im August letzten Jahres. Statt sich vom Pentagon als "embedded" Journalist zu Propagandazwecken einspannen zu lassen, ist er auf eigene Faust und unter abenteuerlichen Begleitumständen nach Bagdad gefahren, um mit dort lebenden Menschen ungefiltert sprechen zu können.

Er räumt mit einer ganzen Reihe von Halbwahrheiten und offenen Lügen auf, die von den Spin-Doctors des Pentagons in die Welt gesetzt und, mangels Möglichkeiten zur unabhängigen Recherche, von den westlichen Medien kritiklos verbreitet werden. Der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, der angeblich knapp vor einem Bürgerkrieg steht und den Abzug der amerikanischen Truppen unmöglich macht, ist eine ebenso an den Haaren herbeigelogene Behauptung, wie die Mär von der irakischen Al-Qaida, die wahllos Zivilisten ermordet und dem US-Engagement die Legitimation als "Kampf gegen den Terror" gibt.

Richtig ist, daß es einen (völlig legitimen) irakischen Widerstand gegen die US-Besatzung gibt, der von 70% der irakischen Bevölkerung - aktiv oder unterstützend - mitgetragen wird. Richtig ist außerdem, daß ausländische Al-Qaida-Extremisten in den Irak eingesickert sind, die versuchen, die Welle zu reiten, indem sie terroristische Anschläge verüben, ohne geringste Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen. Richtig ist ferner, daß der irakische Widerstand es in einigen Vororten geschafft hat, diese Mörderbanden zu vertreiben; ferner, daß auf das Konto amerikanischer Truppen weitaus mehr zivile Opfer gehen, als auf terroristische Anschläge - und so weiter und so weiter und so weiter, es ist zum Erbrechen.

Dieser Krieg hat mittlerweile 4.000 amerikanischen Soldaten das Leben gekostet. Keiner spricht von den 30.000 zum Teil schwerst versehrten Soldaten, für die sich niemand, auch nicht das amerikanische Sozialsystem, zuständig fühlt - vom Verteidigungsministerium ganz zu schweigen. Erst recht spricht keiner von den schätzungsweise 600.000 toten Irakern, die übergroße Mehrzahl in der Zivilbevölkerung - und über die Zahl der Verwundeten gibt es, so scheint's, nicht einmal Schätzungen.

Jürgen Todenhöfer ist bekennender Christ, war CDU-Bundestagsabgeordneter zwischen 1972-90, und ist - auch in diesem Buch - Vertreter abendländischer Werte, bis hin zu einer Schwarz-Weiß-Malerei, von der er selber behauptet, sie abgelegt zu haben. Wenn so jemand scheinbar komplett das politische Lager wechselt, sollte man hellhörig werden. Unbedingt lesen!

Ich komme nicht darum herum, eine Warnung auszusprechen: wenn es von Stilblüten und unbeholfener Prosa in dem Buch nur so wimmelt, so ist das wohl nicht dem Versagen des Lektorats anzulasten.

Schlaftrunken sammle ich meine Sachen ein. In Anbar bei einer amerikanischen Razzia festgenommen zu werden oder meine Gastgeber in eine lebensbedrohliche Lage zu bringen, das muss nicht sein. Da hat Abu Saeed völlig recht. Trotzdem wäre ich gerne noch länger geblieben. Ich habe noch tausend unbeantwortete Fragen zum Irak.

Das ist ungefähr der durchgehende Gesprächston, der gelegentlich von Meisterwerken unfreiwilliger Komik unterbrochen wird, so wie diesem:

Erleichtert fahren wir Richtung Damaskus. Keiner redet, alle sind schweigsam.

Aber egal, geschenkt. Mir ist ein schlecht geschriebener echter Reisebericht lieber als all die rhethorisch aufgemotzten Halb- und Komplettlügen, die zur Zeit in allen Ohren dröhnen.

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