6.4.2008

Cormac McCarthy - Kein Land für alte Männer

Über den Film habe ich bereits an anderer Stelle berichtet, heute habe ich das Buch gelesen - in einem Rutsch, ich konnte nicht aufhören.

Scheriff Bell ist im Film von wunderbar lakonischer Coolness, und mit Thommy Lee Jones auf den Punkt besetzt. Wo er im Film eher eine Nebenrolle bleibt, ist er für das Buch zentral, und fungiert als das Alter Ego des Autors. Jedes Kapitel beginnt mit einer drei-, vierseitigen Reflexion im Selbstgespräch, u.a. so:

Was ich da neulich von wegen den Zeitungen gesagt hab. Da haben sie letzte Woche in Kalifornien ein Pärchen entdeckt, die beiden haben Zimmer an alte Leute vermietet, sie dann umgebracht, im Garten verscharrt und ihre Sozialhilfechecks zu Bargeld gemacht. Zuerst haben sie sie gefoltert, warum, weiß ich nicht. Vielleicht war ihr Fernseher kaputt. Und in der Zeitung stand darüber Folgendes, ich zitiere aus der Zeitung. Da stand: Die Nachbarn wurden alarmiert, als ein Mann, der nur ein Hundehalsband trug, von dem Grundstück flüchtete. So was kann man nicht erfinden. Da kommt man im Leben nicht drauf.
Aber das hat's gebraucht, wie sie sehen. Das ganze Geschrei und das Gebuddel im Garten haben nicht gereicht.
Ist schon in Ordnung. Ich habe ja selber gelacht, als ich's gelesen habe. Viel anderes kann man auch nicht tun.

Die Figur selber ist unglaublich facettenreich gezeichnet, ich habe mich in sie regelrecht verliebt. Ein kurze Schnipsel, der McCarthys Könnerschaft bezeugt, mit ganz wenig Worten einen halben Roman zu erzählen:

Als er ins Haus kam, klingelte das Telefon. Scheriff Bell, sagte er. Er ging zur Anrichte und nahm den Hörer ab. Scheriff Bell, sagte er.

In einer längeren Roadmovie-Einlage (die im Film ausgelassen wird), in der Llewelyn Moss eine junge Anhalterin aufgabelt, findet sich ein Stück Dialog, der die Zwangsläufigkeit der Schußfahrt in die Katastrophe beleuchtet. Llewelyn:

Du glaubst, wenn du morgens aufwachst, dass das Gestern nicht zählt. Dabei zählt nichts anderes. Was gibt es denn außerdem noch? Dein Leben besteht aus den Tagen, aus denen es besteht. Aus nichts anderem. Du glaubst vielleicht, du könntest weglaufen, deinen Namen ändern und was weiß ich noch alles. Nochmal von vorn anfangen. Und dann wachst Du eines Morgens auf und starrst die Decke an, und rate mal, wer da liegt?

Die Zitate sind jetzt nicht etwa sorgsam herausgesuchte Perlen. Satz für Satz ist hier jede Seite von einer Konzentration und analytischen Schärfe, wie ich sie selten gefunden habe.

Auch die Konstruktion des gesamten Romans ist völlig schlüssig. Die "unaufgelösten Cliffhanger", die dem Film zu schaffen machen, sind im Buch sauber aufgelöst - ich sage hier nicht, wie, weil das jeder selber herausfinden sollte. Fazit: absolute Leseempfehlung. Wer außerdem den Film sehen will, sollte das vor der Lektüre tun, sonst dürften ihn die vielen Auslassungen enttäuschen (die Dialoge im Film sind Wort für Wort der Vorlage entnommen, aber leider ge-, fast schon ver-kürzt).

Das ist große Literatur (wobei jedes Superlativ dieses Attributes - "größte, allergrößte" - den Ernst der Aussage verniedlichen würde).

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