4.4.2008

Netzwerkprodukte (7)

(Themenanfang)

Programmierer im Angestelltenverhältnis müssen sich gegebenenfalls dem Druck von Marketing und Sales beugen, und Features einbauen, die sie inhaltlich für falsch halten, oder die unter Zeitdruck nur fehlerhaft oder unvollständig fertig werden. Umgekehrt stehen freie Programmierer unter dem Druck, irgendwo doch wieder Geld verdienen zu müssen - sie sind zwar frei in der Sache, können sich ihr aber, bedingt durch ihren externen Broterwerb, nicht mit ganzer Kraft widmen.

Ideal wäre eine Situation, in der eine kleine Gruppe von Programmierern (Einzelkämpfertum ist in der Branche verbreitet, aber - meistens - kontraproduktiv) unter abgesicherten materiellen Verhältnissen arbeiten könnte, wo das Management sich darum kümmert, das ausreichend Geld hereinkommt, indem es die neuen Features nimmt wie sie sind, und erst dann, wenn sie fertig sind (ein wenig herummeckern, daß das Release sich schon wieder verzögert, dürfte es auch noch). Ideal wäre es außerdem, wenn die Programmierer nicht nur die Technik beherrschten, sondern zudem Domainexperten wären - wenn sie also im Idealfall Kunden der eigenen Software wären. Dann ließe sich die Mühsal der Erstellung und Vermittlung von Spezifikationen klein halten; die Rolle von Produktspezialisten und die ganze Bürokratie, die diese Rolle mit sich bringt, hielte sich in überschaubaren Grenzen (man kann diese Sätze, wenn man sie um 180 Grad wendet, als Beschreibung des Ist-Zustands lesen).

Der Witz oben stehenden Absatzes ist, daß er einen Zustand beschreibt, der vor knapp zwanzig Jahren Realität war. Als ich Anfang der Neunziger bei Steinberg einstieg, gab es ein Verhältnis von Entwicklern zum Rest der Belegschaft von 1 zu 1 (heute liegt es bei ca. 1 zu 3, obwohl der Entwicklungsabteilung ein starkes Gewicht zugemessen wird). Die Features wurden von Musikern bestimmt - und das waren, mit wenigen Ausnahmen, auch diejenigen, die den Code schrieben. Ich habe keine Ausbildung in der Informatik, sondern in der Musik, und damit bin ich unter der "Urbesetzung" keine Ausnahme. Steinberg wiederum ist in der Softwareindustrie jener Tage keine Ausnahme: wenn man die Artikel von Joel Spolsky liest (der für Microsoft als Chef der Excel-Entwickler gearbeitet hat), wird klar, daß selbst ein Bill Gates keineswegs der geldgierige Beutel war, als der er heute gern dargestellt wird, sondern ein Software-Visionär reinsten Wassers, der es blendet verstand, die richtigen Leute um sich zu versammeln. Und wenn ich, nach all der Zeit, noch einmal in die ersten drei Bände von "Inside Macintosh" schaue, kommen mir die Tränen anbetrachts all dieser unwiderruflich verschwundenen Schönheit. Ja, doch: Code konnte schön sein, war das gelegentlich, wie Sprache, auf ebenso verschlungene Art und Weise.

(Ich will nicht verschweigen, das es bei Steinberg nicht bloß golden glänzte, sondern auch ziemlich stank. Wie in jeder menschlichen Gemeinschaft gab es Auseinandersetzungen, die nur scheinbar der Sache galten, in Wahrheit die Machtverhältnisse betrafen - und da wir alle starke und sture Persönlichkeiten waren, ging es teilweise übel zur Sache. Zum zweiten: ich hatte von Gelddingen zu der Zeit überhaupt keine Ahnung. Hätte ich sie gehabt, wäre ich heute finanziell unabhängig oder - was eher wahrscheinlich ist - mich nicht derart bedingungslos mit der Firma identifiziert.)

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