14.3.2008

J.S.Bach - Matthäus-Passion

Teil 2

Ich unterscheide zwischen Musikern, bei denen die Partitur der Matthäus-Passion im Bücherschrank steht und solchen, bei denen das nicht der Fall ist (das ist nur ein halber Scherz ). In meinen Augen ist dies das gewaltigste Werk der Musikgeschichte. Mit seinem Studium kann man allenfalls beginnen - und wer dies tut, wird immer wieder zu ihm zurückkehren. So kommt es, daß seit einigen Jahren Ostern mehr für mich bedeutet als bloß ein paar freie Tage.

Heute habe ich meinen Weg durchs Wochenende vorbereitet und von den unten genannten Aufnahmen den Eingangs-Chorus gehört.

gardiner

John Elliot Gardiner
Bonney, von Otter, Chance, Bär u.a.
The Monteverdi Choir
The English Baroque Soloists
Deutsche Grammophon 1989

Nikolaus Harnoncourt
Schäfer, Fink, Prégardien, Goerne, u.a.
Arnold Schönberg Chor
Concentus musicus Wien
Teldec 2001

Sir Georg Solti
Te Kanawa, von Otter, Bär u.a.
Chicago Symphony Orchstra and Chorus
Decca 1987

Solti befehligt ein klassisch-romantisches Orchester, das selbst auf der Empore des Hamburger Michels kaum Platz finden dürfte. Er wählt ein langsames Tempo, nimmt die zahlreichen Staccatopunkte in der Partitur nur wiederwillig zur Kenntnis, und schraubt überhaupt an einem Klang, der gut zu Bruckner passen würde - oder eben zu jener Tradition der Bachrezeption, die das "Erhabene" in jeder Musik suchte. Ich höre die Aufnahme trotzdem gerne - allerdings in erster Linie der Sänger wegen, der lyrische Sopran von Kiri Te Kanawa rührt mich an wie kein anderer.

Harnoncourts Orchester ist kleiner (28 Streicher, im Vergleich zu den vermutlich ~40 Soltis), das Tempo etwas flotter, und - das ist der große Verzug der gesamten Aufnahme - in der doppelchörigen Anlage der Passion deutlich durchhörbar. Auch hier werden die Phrasierungen glatt gebügelt, auch hier sind die Solisten phantastisch (über Christine Schäfer gäbe es noch einiges mehr zu erzählen).

Gardiner schließlich verfügt über eine nahezu kammermusikalische Besetzung. Aus dem Booklet geht nicht genau hervor, wie viele Streicher das sind. In dem (grandiosen) Kantantenzyklus aus dem Jahr 2000 sind es vier erste, ebenso viele zweite Geigen sowie zwei Violen; die Tendenz zu dieser Reduktion ist hier schon spürbar. Die Zweichörigkeit ist im Stereobild gut nachzuvollziehen, vor allem aber: das Tempo ist hoch genug, um die Schwermut nicht mit untröstbarer Trauer gleich zu setzen. Ebenso wichtig: die Spielanweisungen Bachs werden so umgesetzt, daß Kontraste deutlich hörbar werden. Was bei Solti und Harnoncourt ein dahinfließender Brei war, bekommt bei Gardiner eine dramatische Struktur - und leitet adäquat ein Werk ein, welches sich aller im Hochbarock gängigen Mitteln der Oper bedient, um die Passion Christi den Sinnen zu verfügen.

Teil 2

(Kommentarfunktion z.Zt. deaktiviert.)