12.2.2008

Winterreise (4)

Der Leiermann

Drüben hinterm Dorfe
steht ein Leiermann;
und mit starren Fingern
dreht er, was er kann.

Barfuß auf dem Eise..

So geht das weiter, vier Strophen Eiseskälte. Schließlich, die letzte:

Wunderlicher Alter,
soll ich mit dir geh'n?
Willst zu meinen Liedern
deine Leier dreh'n?

Wie komponiert Schubert das? – gar nicht: er läßt den Leiermann spielen; er nimmt ihn in die Musik hinein.

Über einem Orgelpunkt auf A repetiert das Klavier eine immer gleiche, rhythmisch verschobene pentatonische Phrase, die man so auch auf einer Leier spielen könnte. Der Text wird fast im Sprechgesang vorgetragen – da ist nicht einmal die Ahnung einer Melodie. Von der ersten Note an ist klar, daß die Befürchtung des letzten Satzes längst wahr wurde: der Ich-Erzähler singt zur Begleitung des alten Mannes, und die Frage – ob er mit ihm gehen soll – wurde letztlich schon in der ersten Strophe beantwortet: das tut er längst.

Das ist beinahe schon eine Montage, ein Hereinnehmen von Realität in ein Kunstwerk, wie man es in der bildenden Kunst bei Duchamp zuerst erblickte – und was in der Musik gar nicht erst vorkam (vielleicht mit Ausnahme der Musique concrète Pierre Schaeffers, in einer ganz anderen künstlerischen Liga).

Aber wovon erzähle ich hier eigentlich? – man muß dies hören! - und verweise zurück auf den Eintrag über die Aufnahme der Winterreise von Hampson&Sawallisch.

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