2.2.2008

Die SZ über Bertold Beitz

Die Wochenendausgabe der Süddeutschen schreibt ein beeindruckendes Stück Zeitgeschichte, hat sie doch Berthold Beitz zu einem Interview überreden können. Berthold Beitz, Jahrgang 1913, hat zwischen 1942 und 1944 - als leitender Angestellter einer Ölfirma im polnischen Boryslaw - hunderten Juden das Leben gerettet, indem er sie als angeblich unabkömmliche Experten für seine Fabrik in Anspruch nahm. In einem beständigen und hochgefährlichen Balancespiel gelang es ihm, SS und Gestapo den Anschein zu vermitteln, er habe mächtige Freunde im Oberkommando des Heeres. Nach dem Krieg hat er in der Öffentlichkeit von diesem heldenhaften Handeln stets geschwiegen, erst auf anhaltendes Drängen von Joachim Käppner hat er heute Auskunft gegeben. Er gehört seit 1973 zu den 443 deutschen Trägern der von der Holcaust-Gedenkstätte Jad Vaschem verliehenen Auszeichnung "Gerechter unter den Völkern".
Aus unverständlichen Gründen sind die beiden Artikel und das Interview nicht online verfügbar. Ich zitiere eine Passage aus dem Interview, die mich den ganzen Tag nicht losläßt:

Bertold Beitz: Ich stand im November 1942 auf dem Bahnhof in Boryslaw, da waren diese Waggons voller Menschen, die Fenster vergittert mit Draht, und es rief jemand immerzu "Herr Direktor! Herr Direktor!" Ich bestand darauf, dass der Wagen geöffnet wurde, und sah eine meiner Mitarbeiterinnen vor mir, eine junge Jüdin aus Berlin. Sie war Ende der dreißiger Jahre nach Polen abgeschoben worden und saß nun in diesem Transport. Ich hatte sie schon aus dem Zug herausgeholt, da sagte sie zu mir: "Meine Mutter ist noch da drin." Ich habe sie auch geholt, aber da kam ein SS-Mann und sagte: "Was machen Sie hier?" Ich habe gesagt: "Ich hole meine Leute aus dem Zug." Aber in diesem Fall konnte ich nichts machen.
Joachim Käppner: Warum nicht?
Bertold Beitz: Der SS-Mann sagte, die Mutter sei viel zu alt zur Arbeit, sie müsse zurück in den Waggon. Ich konnte sie nicht als Arbeiterin meiner Ölfirma ausgeben. Und er hat sie zurückgeschickt. Da sah das Mädchen mich an, ganz ruhig, Anfang 20, ohne Bewegung beinahe, große dunkle braune Augen, und fragte: "Ist es erlaubt, Herr Direktor, dann gehe ich auch zurück." Es war erschütternd.
Joachim Käppner: Und sie ist dann wirklich zurückgegangen?
Bertold Beitz: Ja, sie ist zurückgegangen in den Waggon und zu ihrer Mutter und in den Tod. Und diese Geschichte habe ich Ignatz Bubis erzählt, bei der Verleihung der Josef-Neuberger-Medaille in Düsseldorf, als er die Laudatio hielt. Und als ich ihm das erzählte, begann er zu weinen. Ich habe ihn gefragt, warum, und er sagte mir, dass er daneben gestanden habe, als sein Vater verhaftet wurde, und er blieb zurück. Und das hat ihn sein ganzes Leben lang belastet.

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