My Blueberry Nights

Geburt – Reproduktion – Tod.
Das ist alles.

Anfang und Ende stehen nicht zur Disposition, ebensowenig wie die Mitte: letztere können wir aber wenigstens – wie begrenzt auch immer – gestalten, im Extrem und ausnahmsweise sogar ablehnen (ungefähr so, wie wir über den Tod gebieten: indem wir ihn nicht voll Angst erwarten, sondern uns in ihn stürzen).

Menschliches Dasein besteht immer aus diesem Dreiklang, und zwar – ausnahmsweise – unberührt von Geschichte und Interpretation. Dies ist die einzige Konstante.

Ich komme auf das Thema, nachdem ich den neuen Film von Wang Kar Wei gesehen habe: Blueberry Nights, eine durchaus beeindruckende Feier der Schönheit der Liebe. Norah Jones gibt hier ihr Debut als Schauspielerin (nicht schlecht, aber sie muß hier auch nur einfach schön sein), Jude Law leuchtet selbst für einen Hetero wie mich mit hinreißendem Charme, und die Kußszene am Ende des Films (mit der das Plakat wirbt) ist pure Pornographie, gemessen an der Erotik, die der Blick der Kamera auf diese wunderschönen Frauengesichter (Jones, Portman, Weisz) transportiert.

Reproduktion bzw. das ganze darum veranstaltete Theaterspiel: das könnte den Schalter beschreiben, den man umlegt, wenn darüber entschieden wird, ob der Dreiklang Dur wird oder Moll: kleine Terz = vergebliches Leben; große Terz = größtes Glück, Gelingen.

Bluesterz – jenes Hochgeschmiere von der kleinen in die große Terz – könnte heißen: ich habe das Schlimmste befürchtet, und das ist auch genau so eingetroffen, aber mir geht es dennoch gut – immer bezogen auf den Mann/die Frau, der/die gerade weggeht/wiederkommt.

Richard Wagners Oper "Tristan und Isolde" verhandelt die endgültig absolute Idee der Liebe. Wang Kar Wei ist dagegen nüchtern-pragmatische Neuzeit. Bei Wang steht am Beginn der Liebe ein Stück Kuchen, am Ende (als Beginn eines anderen Anfangs) ein Kuß. Bei Wagner beginnt sie in der Todessehnsucht der Liebenden. Dort beginnt Liebe im Tod. – Drei Worte: Beginn, Liebe, Tod, siehe oben; hier wird dieser Satz rückwärts gelesen und damit in die Ewigkeit gewendet.

Das spiegelt sich in der Musik wieder: wo Wang in Dur und Moll schwelgt und in Ry Cooder jemanden für die Filmmusik gefunden hat, der auch mal einige Blue Notes einfließen läßt, enden Wagners Harmonieketten vor der Auflösung. Das Tristanvorspiel gehört zu den berühmtesten Stücken der Musikgeschichte, weil in ihm die Auflösung der Tonalität vollzogen ist: der sog. Tristanakkord löst sich auf in einen Dominant-Septakkord, jenen Akkordtyp, der in der Musik davor seinerseits ein Spannungsgebilde war, welches aufgelöst werden mußte, nämlich in einen Dur- oder Molldreiklang. – Wagners Harmonik kommt aus dem Nichts und findet kein Ende: besser läßt sich in Musik nicht darüber reden, was Liebe ist.



Nachtrag: Katja Nicodemus ist in der „Zeit” gar nicht so begeistert und findet Blueberry Nights kitschig. Naja – ich stimme ihr bedingt zu, würde ihn trotzdem unbedingt empfehlen. Solche Kameraführung und fotografische Intelligenz bekommt man nicht oft zu sehen.

Wenn man schon kritisieren will, muß man über die Unsitte herziehen, jeden, aber auch wirklich jeden Film deutsch zu syncronisieren. Für mich ist das ein wichtiger Grund, nur noch selten ins Kino zu gehen; ich sehe lieber DVDs mit O-Ton. Ich hatte mich auf die Sprechstimme von Norah Jones gefreut - und dann spricht sie deutsch mit einer piepsigen Allerweltsstimme. Es ist zum Schaudern.