14.10.2008

€ 500.000.000.000 (2)

Laut Marx ist die "Substanz" von Wert und Verwertung (Mehrwert) die Verausgabung abstrakter menschlicher Energie in dieser gesellschaftlichen Form. Arbeitskraft kann aber nur auf der jeweiligen Höhe des von der Konkurrenz gesetzten Produktivitätsstandards angewendet werden. Darin liegt ein systemischer Selbstwiderspruch, der auf wachsender historischer Stufenleiter in Erscheinung tritt. Je höher die Produktivkraft durch Verwissenschaftlichung, desto geringer die Wertsubstanz der einzelnen Ware und desto größer die Vorauskosten der Produktion. Die Bewegung dieses Widerspruchs führt dazu, dass die Märkte unaufhörlich wachsen müssen und die Verwertung immer stärker vom Kredit als Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert abhängig wird.

(Robert Kurz im Telepolis-Interview)

Das hört sich ein wenig plausibler an als das momentan gängige Bashing der gierigen Manager ohne jede Moral - in dem eigenartigerweise all jene, die nicht verstehen können, daß für Harz IV-Empfänger kein Geld da ist, während den Banken gleich Milliarden in den Rachen geschoben werden, sich mit denen in schönster Einigkeit wiederfinden, die von "Auswüchsen" des Systems sprechen, und nach allerlei Reparaturarbeiten am liebsten morgen schon weitermachen würden wie bisher.

Man hat es hier mit einer systemimmanenten Krise zu tun, die sich nicht auf persönliche Schuld von irgendwem oder verrutschte Wert- und Moralmaßstäbe zurückführen - und damit letztlich kleinreden - läßt. Manager, zumal im Investmentbereich, sind ebenso hoch gehandelte und bezahlte Stars wie jene im Bereich der Unterhaltungsindustrie. Während man einem Fußballer - unter gelegentlichem Murren von den billigen Rängen im Stadion, wenn es im Verein nicht so recht läuft - sein Millionensalär durchaus zubilligt (und nicht einmal auf den Gedanken käme, ihn für jedes nicht geschossene Tor bezahlen zu lassen), geraten die Spieler der Hochfinanz sofort unter Generalverdacht, wenn das passiert, was bei jedem Spiel immer wieder zwangsläufig passiert: daß man auch mal verliert.

Ähnliches gilt für das Verhalten der ach so verantwortungslosen Amerikaner, die alles nur noch auf Pump kaufen und erwarten, daß ihnen die Welt ihr Außenhandelsdefizit finanziert. Wer denn, hierzulande, bezahlt denn sein Eigenheim in bar? Wer - bis vor kurzem zumindest - zur Bank gegangen ist, um sich über Vorsorge fürs Alter zu informieren, hat von den Beratern immer zu hören bekommen, daß man in Immobilien investieren soll [1]. Mit anderen Worten: nimm eine Hypothek, und finanziere deine eigene Wohnung, statt Jahrzehnte Miete zu zahlen und dein Geld auf nimmer Wiedersehn zu versenken. Und dieser Rat war ja sogar richtig! [2] Mehr noch: er ist es noch immer.

Sehen wir mal nach den Tatsachen. Zunächst hat sich der Immobilienmarkt in Amerika wohl als Blase aufgebaut; jederman konnte - ohne Sicherheiten, selbst ohne regelmäßiges Einkommen - leicht einen Hypothekenkredit bekommen. Das kracht jetzt zusammen, so die landläufige These. Den Banken platzen faule Kredite, sie mißtrauen nicht nur jenen Kunden mit schlechten Sicherheiten, sondern am Ende jedem, zuletzt sogar dem eigenen Sektor. Schön. Erklären tut das erstmal gar nichts.

Wie kommt es denn, daß jeder, der wollte, auch konnte? - sprich, zur Bank gehen und Geld ausleihen? So ohne weiteres ging das ja nie, es gab (und gibt) Regeln, nach denen die Bank für jeden gewährten Kredit Sicherheiten z.B. in Form von Eigenkapital bereitstellen muß. Das ist zwar ein für jeden Kredit gleicher Prozentsatz - weil aber nur begrenzte Summen vergeben werden können, muß die Bank entscheiden, an wen sie sie vergibt, und das sind dann jene Kunden, die über die höchst möglichen Ausfallsicherheiten verfügen. Gewöhnlich ist das ein System, das sich selber reguliert: nur jene Kunden bekommen Geld, die es auch - normalerweise - zurückzahlen können.

Dieses System wurde jedoch gründlich ausgehebelt (und das Wort vom "Hebel" trifft hier sogar zweifach): eine Bank muß kein Eigenkapital im Hintergrund halten, wenn sie überhaupt kein Ausfallsrisiko zu tragen hat - und das ist dann der Fall, wenn sie sich gegen Rückzahlungsrisiken versichert. "Credit Default Swaps" oder CDS-Papiere waren das Werkzeug, mit dem dies geschah - und zwar in einem Umfang, der momentan nur schwer zu beziffern ist. Im Grunde ist das ja eine gute Idee: man versichert sich gegen Ausfälle, und hat jedes Risiko vom Tisch. Man muß keine Sicherheiten in Form von Eigenkapital mehr vorweisen, die Ausfall"bürgschaften" treten an ihre Stelle.

Dummerweise sind diese Bürgschaften - erstens - aber Papiere, mit denen gehandelt wurde - und zwar nicht transparent an der Börse, sondern im direkten Verkehr zwischen den Tradern. Zweitens sind es Papiere mit einem Hebel: wenn ich etwas versichere, nehme ich eine relativ geringe Gebühr dafür, daß ich im Zweifel für den kompletten Schaden gerade stehe. Letztlich schließe ich eine Wette darauf ab, daß der Schaden gar nicht erst eintritt, bzw. daß er bei vielen Versicherungsnehmern so selten eintritt, daß die Summe der Policen meine Leistungen bei Schadensfällen übersteigt. - Auch dies ist kein dummes Modell. Wer sich über Leerverkäufe von Aktien bzw. Options- oder Derivatgeschäfte mit ihren enormen Hebeln aufregt, sollte einen Moment darüber nachdenken, welchen großen Wert sie als Versicherung für die reale Wirtschaft haben (die eigene Haftpflichtversicherung könnte er, wenn er schon nur Zweifel hat, bei der Gelegenheit auch gleich kündigen).

(Wenn die Rede davon ist, daß man Subprime-Kredite einfach weiterverkauft habe, verbirgt sich dahinter letztlich dieses Versicherungsmodell - die Rede vom "Weiterverkauf von Schulden" ist aber so wunderbar in eine moralische Schublade zu schieben, daß es sich wohl selbst jene Neocons nicht verkneifen können, sie zu bedienen, die das Modell sehr gut verstehen, und es an anderer Stelle durchaus zu schätzen wissen.)

In Form der CDS-Papiere (und diverser Unterformen und Variationen, die in ihrer Breite wohl nicht einmal die Experten noch überblicken) wird es möglich, auf die Kreditwürdigkeit jener Institute zu wetten, denen man sie verkauft. Wenn ein Hedgefont solche Papiere an eine Bank mit Triple-A-Rating verkauft, durfte er davon ausgehen, daß der zugrunde liegende Kredit mit großer Sicherheit bedient werden wird - Banken mit hervorragendem Rating haben es schließlich gar nicht nötig, sich riskante Kredite ins Haus zu holen. Dummerweise dienen diese Papiere aber dazu, das Kreditgeschäft noch auszudehnen, sprich: die Option zu eröffnen, auch zumindest ein wenig riskantere Kredite zu gewähren. So schlägt das dann ganz allmählich, über die Jahre, immer ein wenig etwas höher, bis aus den Wellen, auf denen sich locker surfen läßt, ein Tsunami wird.

Richtig fatal ist dann die Möglichkeit, die gewährten Ausfallbürgschaften auch noch weiterzuverkaufen. Sprich: eine Bank hat bei einem Font CDS-Papiere gekauft, um sich gegen Kreditausfälle zu versichern. Sie verkauft jetzt ihrerseits diese Papiere an Anleger, die darauf spekulieren, daß der Versicherungsfall doch eintritt, mit einem entsprechenden Aufschlag: jene Versicherungssumme, die im Schadensfall ausgezahlt fällig werden, würde jetzt an den neuen Inhaber der Papiere gehen. Der Anleger, der in diesem Szenario die Papiere tatsächlich hält, hätte also ein Interesse daran, daß die über diese versicherten Kredite platzen - was jüngst geschah, und die über viele Ecken gespannten Hebel dazu brachte, die ganze in ihnen gespeicherte Energie loszulassen.

  1. [1] Immer - zumindest, nachdem man sich für die hauseigenen Finanzprodukte nicht so recht begeistern konnte.
  2. [2] Das ist mein erstes Ausrufzeichen seit mehr als 300 Einträgen im Blog...

[Ich mache mal Pause - und, wie zuvor schon gesagt: ich bin kein Fachmann. Denen sollte man z.Zt. allerdings auch nicht unbesehen über den Weg trauen.]

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